Der Deuter der Körpersprache

Saarbrücken. Wenn er spricht, unterstreicht er seine Worte mit Gesten. Setzt mit Händen Pausen, leitet neue Gedanken ein - ganz unbewusst. Bernd Reutler kennt sich aus mit Körpersprache und hat ihre Regeln längst verinnerlicht. Der 67-Jährige beschäftigt sich seit gut 20 Jahren mit der Frage, wie Körpersprache erfolgreich eingesetzt werden kann

Saarbrücken. Wenn er spricht, unterstreicht er seine Worte mit Gesten. Setzt mit Händen Pausen, leitet neue Gedanken ein - ganz unbewusst. Bernd Reutler kennt sich aus mit Körpersprache und hat ihre Regeln längst verinnerlicht. Der 67-Jährige beschäftigt sich seit gut 20 Jahren mit der Frage, wie Körpersprache erfolgreich eingesetzt werden kann. Wie Menschen mit Hilfe von Mimik, Gestik und Körperhaltung kommunizieren. Der - auf Neudeutsch - "Kommunikationstrainer" zeigt in Schulungen und Vorträgen unter anderem Führungskräften, wie sie ihr Auftreten, ihre öffentliche Wirkung verbessern können. Die Grundlagen für seine Kenntnisse hat sich Reutler bereits in jungen Jahren angeeignet - allerdings auf einem ganz anderen Berufsfeld.

In seinem "ersten Leben" war er Musikdramaturg und Regisseur unter anderem am Saarländischen Staatstheater, Oberspielleiter am Saarländischen Landestheater. "Im Schauspiel müssen Sie sich natürlich mit Körpersprache beschäftigen. Mit Ausdrucksformen wie Mimik und Gestik muss sich auch ein Regisseur auseinandersetzen", sagt Reutler. "Die Tipps, die man Schauspielern gibt, können auch im Alltagsleben nützlich sein." Dialog, Kommunikation, Darstellung sind die Schnittmenge der beiden Berufswelten des Saarbrückers. Viele Fotos erinnern in seiner Wohnung an seine Theaterzeit, Bühnenbilder, Probenaufnamen. "Hier hab' ich die Lulu inszeniert mit Christine Kaufmann", sagt er. "Frisch und ohne Allüren", hat Reutler sie in Erinnerung. Damals habe sich der Fernsehstar gerade von Tony Curtis scheiden lassen. "Sie hing ständig am Telefon und verhandelte mit ihren Anwälten in Los Angeles." Viele Anekdoten kann der 67-Jährige erzählen. Wenn er sich an dies und das erinnert, klingt ein wenig Wehmut mit.

Reutler hatte Gelegenheit, sich in verschiedenen Bereichen der Theaterarbeit auszuprobieren, dabei hatte er klare Vorlieben entwickelt: "Ich bin ein Opernmann", sagt er - nicht "ich war". Das Musik- und Theaterleben ist dem Mozart-Fan auch heute noch wichtig, Konzert- und Theaterbesuche sind unverzichtbarer Teil seines Privatlebens. Zuhause spielt der Witwer gerne Klavier und Cello.

Dennoch hat er Mitte der 80er Jahre einen Schnitt gemacht. Mit seinen Inszenierungen sei er damals ein bisschen "das Enfant terrible" gewesen. "Ich gehörte zu denen, die gerne mal was Neues probieren." Klassiker sozialkritisch zu präsentieren, habe vor 30 Jahren noch viele Leute irritiert. "Deshalb war ich ewig unter Beschuss", erklärt der Vater eines Sohnes. Dieser "ständige Kampf" habe ihn ein wenig zermürbt.

Genau in dieser schwierigen Lebensphase habe ihm ein Bekannter geraten, sich als Kommunikationstrainer selbstständig zu machen. Die Idee kam an, wurde zum Selbstläufer. Die Firma Globus etwa fragte an wegen eines Verkaufstrainings für ihre Kassiererinnen, andere Unternehmen wollten eine Schulung für die Führungskräfte. Tipps auf diesem Gebiet waren offensichtlich begehrt. Wer möchte nicht überzeugen mit sicherem Auftreten und sympathischer Ausstrahlung?

Reutler kam viel rum und verdiente deutlich mehr als früher. "Das Leben war plötzlich verdammt angenehm." Das hat dem "Opernmann" denn auch den Abschied von der Theaterbühne erleichtert. Er verbreitete seine Rezepte auch in einem Buch "Körpersprache erfolgreich einsetzen" und beschäftigte sich in der Folge intensiv mit Politikersprache und -verhalten. Das lag nahe. Nutzen Politiker ihre Bühne nicht auch hin und wieder zum Theaterspielen? "Mimik und Gestik von Politikern - was steckt dahinter?" ist der Titel eines seiner Vorträge. Ein markanter Redner (und Schauspieler) fällt ihm spontan ein: Oskar Lafontaine. "Kurze Sätze, kurze Abschnitte. Er beginnt relativ leise, beschleunigt und steigert sehr schnell die Lautstärke", beschreibt Reutler die Redeweise des Chefs der Linkspartei. Die Wirkung dieser Art des Vortragens - inklusive rotem Kopf und großen Gesten - sei groß, was damit inhaltlich transportiert werde eher zweitrangig, meint der Coach. Die "Mannheimer Rede" 1995 zum Beispiel sei, wenn man sie liest, "eine stinknormale SPD-Rede". "Aber damit hat Lafontaine Rudolf Scharping einfach weggebellt", so Reutler. Emotionen würden eben vor allem über Körpersprache und Sprechweise vermittelt. Auch die etwas spröde Angela Merkel arbeite heute stärker mit Gesten, hat der Experte beobachtet.

Nun mag man viel Entlarvendes in Sprechweise und Körpersprache der Politiker entdecken. Aber Signale, die zeigen, dass einer lügt? - da mag sich auch Reutler nicht festlegen. Natürlich gebe es so genannte Übersprungshandlungen, wie an Kopf oder Nase kratzen, an der Krawatte zupfen, die beim Sprechenden ein gewisses Unwohlsein, ein in der Klemme sein, vermuten lassen. "Aber das ist noch keine Lüge", betont der Kommunikationstrainer. Das berühmte Ehrenwort von Uwe Barschel zum Beispiel hat er sich x-mal auf Video angeschaut. "Ich kann da keine verräterische Aktion entdecken, bei der man auf eine Lüge hätte schließen können."

Das wäre die Deutung der Körpersprache vielleicht auch zu weit getrieben. Die Kunst der Selbstdarstellung beherrschen mag reizvoll sein, aber man sollte sie nicht überstrapazieren. Für Politiker sei es auch wichtig, authentisch zu sein, meint Reutler: "Sie können aus einem Kaltblüter kein Rennpferd machen. Aber Sie können mit den vorhandenen Mitteln des Ausdrucks das, was da ist, stärken."

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