100 Tage SPD-Chefin Andrea Nahles will die nervöse SPD befrieden

Fürth/Bamberg · Die SPD-Chefin ist seit 100 Tagen im Amt. Zu diesem Anlass gibt es ungewöhnliche Geschenke bei einer Reise durch die bayerische Diaspora.

 Bei Siemens in Erlangen ließ sich SPD-Chefin Andrea Nahles unter anderem eine Maschine zur Herstellung von Sonnenmilch erklären.

Bei Siemens in Erlangen ließ sich SPD-Chefin Andrea Nahles unter anderem eine Maschine zur Herstellung von Sonnenmilch erklären.

Foto: dpa/Sven Hoppe

Plötzlich stehen da acht Kisten Bier auf der Wiese, für Andrea Nahles übereinander gestapelt. Insgesamt 155 Flaschen Rotbier, schön aufgewärmt in der Julihitze. Eine Flasche Bier pro Jahr SPD – etwas Aufmunterung für ihre Rettungsmission. Es ist ein Geschenk des Unterbezirks Bamberg an die SPD-Chefin, die nun genau 100 Tage im Amt ist. Das Bier wird im Bus verstaut, weiter geht‘s auf der Sommerreise durch Bayern. Nach zwei Wochen Urlaub in Sardinien ist sie zurück in der politischen Realität.

Und die sieht gerade in Bayern mau aus. Bei der Landtagswahl am 14. Oktober droht Spitzenkandidatin Natascha Kohnen ein Fiasko, Platz vier hinter CSU, Grünen und AfD könnte es werden. Auch bei der Wahl zwei Wochen später in Hessen droht eine Schlappe. Nahles weiß: Die Ergebnisse werden auch ihre Ergebnisse. Sie hat nicht viel Zeit. Sie will einen Mitte-Kurs, statt klar nach links, wie viele Freunde der „reinen Lehre“ es in der SPD gerne hätten. Denn der Zeitgeist ist gerade nicht links.

„Wir brauchen mehr Speed“, sagt sie zur Integration der Flüchtlinge – aber sie will auch mehr Tempo beim Umkrempeln der SPD. Immerhin ist die Partei viel geschlossener als noch vor Monaten, hält dicht, wirkt seriöser. Doch die versprochene Erneuerung der Partei ist bisher eine Hülse, Nahles‘ politische Bilanz noch bescheiden; ein Umschwung nicht in Sicht.

Sie gibt die Anpackerin, die Kümmerin. Mit Bamberg, Fürth, Erlangen und Dietfurt besucht sie Städte, in denen die SPD den Rathauschef stellt. Während es landes- und bundesweit für die SPD schlecht aussieht, kann sie hier erfahren, wie Vertrauen in einzelne Personen und Bürgernähe kommunale SPD-Erfolge möglich macht.

Nahles bräuchte mal eine knallige Idee, die begeistert – erstmal lautet ihr Ziel: Die nervöse SPD befrieden. Fürths Oberbürgermeister Thomas Jung regt sich etwa über den SPD-Außenminister auf: „Wenn ich den Kollegen Maas höre, wird mir angst und bange.“ Gemeint sind dessen russlandkritische Einlassungen zu Beginn der Amtszeit. Jung berichtet von einem Fürther Unternehmen, das wegen der Sanktionen Russlands Biathlonmannschaft nicht mehr mit Munition beliefern kann. Und er kritisiert, dass Kindergeld für Arbeitsmigranten aus Osteuropa die kommunalen Kassen immer stärker belasten. Nahles verspricht, eine Lösung zu suchen.

Im Ausbildungszentrum der Bundespolizei in Bamberg will Nahles von den Azubis wissen, wo der Schuh drückt. Seit im Zuge zunehmender Terrorgefahr und anderer Herausforderungen kräftig aufgestockt wird, sind hier seit 2016 rund 2200 Ausbildungsplätze geschaffen worden. „Das hat den ganzen Heiratsmarkt von Bamberg durcheinander gebracht“, witzelt Nahles. Immer wieder hört sie, dass Stellen entfristet werden sollen und betont, dass die große Koalition von CDU, CSU und SPD hier – und auch beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) – „die größte Entfristungsaktion der Bundesrepublik“ ins Werk gesetzt habe.

Gefragt nach ihrer Bilanz zählt sie Gesetze auf, und sie steuerte die SPD mit ruhiger Hand durch den Unionsstreit um eine schärfere Asylpolitik – die Koalition hielt. Dennoch dümpelt man weiter bei 18 Prozent. Beim Thema Flüchtlinge will sie die SPD auf einen Mitte-Kurs einschwören, der Kommunen nicht überfordert, geflüchtete Menschen aber auch nicht schikaniert.

Dass es auch positive Aspekte in der Debatte gibt, zeigt ein Besuch bei Siemens in Erlangen. Naji Alzaim (23) flüchtete im September 2015 aus Syrien nach Deutschland. Über ein Jobcenter kam der Hinweis auf Siemens. Er bekam einen von 16 Praktikumsplätzen für Flüchtlinge, ab September beginnt er eine Ausbildung als Ingenieursassistent für Automatisierungsprozesse, er spricht sehr gut Deutsch. Der Muslim führt eine von ihm programmierte Abfüllanlage für Bierkästen vor.

 Zu einer Bayern-Reise gehört auch Bier. Hier stößt Nahles mit Susanne Horn von der Brauerei „Neumarkter Lammsbräu“ an.

Zu einer Bayern-Reise gehört auch Bier. Hier stößt Nahles mit Susanne Horn von der Brauerei „Neumarkter Lammsbräu“ an.

Foto: dpa/Daniel Karmann
 In Bamberg besuchte Nahles das Bundespolizeiaus- und Fortbildungszentrum und unterhielt sich in der Kantine mit Polizisten.

In Bamberg besuchte Nahles das Bundespolizeiaus- und Fortbildungszentrum und unterhielt sich in der Kantine mit Polizisten.

Foto: dpa/Sven Hoppe

Nahles wurde nach ihrer Wahl zur ersten Frau an der Spitze der Sozialdemokraten als Trümmerfrau bezeichnet. Wie groß auch intern die Vorbehalte gegen sie sind, zeigt das schlechte Wahlergebnis von nur 66 Prozent. In Zeiten, in denen Bindungen an Parteien geringer werden und Einzelpersonen immer wichtiger, muss es der SPD Sorge bereiten, dass die Frau aus der Eifel weiterhin sehr bescheidene persönliche Umfragewerte hat. Ihr Image zu verbessern, das scheint ein so schwieriges Unterfangen zu werden wie jenes, die SPD wieder nach vorn zu bringen. Noch hat sie eine Gnadenfrist. Aber Schöntrinken, das weiß sie, lässt sich die Lage auch nicht mit 155 Flaschen Rotbier.

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