Steinbrück gibt den Genossen die Richtung vor

Berlin. Noch am vergangenen Freitag wirkte Peer Steinbrück auf der Bühne im Willy-Brandt-Haus etwas verunsichert. Da war die Nachricht von seiner neuen Rolle als SPD-Kanzlerkandidat auch erst wenige Stunden alt. Gestern durfte sich der 65-jährige Hoffnungsträger der Genossen in der Berliner Parteizentrale schon fast heimisch fühlen

Berlin. Noch am vergangenen Freitag wirkte Peer Steinbrück auf der Bühne im Willy-Brandt-Haus etwas verunsichert. Da war die Nachricht von seiner neuen Rolle als SPD-Kanzlerkandidat auch erst wenige Stunden alt. Gestern durfte sich der 65-jährige Hoffnungsträger der Genossen in der Berliner Parteizentrale schon fast heimisch fühlen. Als Steinbrück im Anschluss an eine Sondersitzung des Parteivorstands vor die Kameras trat, wollte der Beifall der umstehenden Mitarbeiter gar nicht enden.

Ganz so euphorisch soll es hinter verschlossenen Türen zwar nicht zugegangen sein. Vor allem die Linken in dem Spitzengremium zeigten sich immer noch befremdet von dem zum Schluss überstürzten Verfahren für Steinbrücks Kür. Aber ansonsten sei alles "Friede Freude, Eierkuchen" gewesen, meinte ein Teilnehmer. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich. Als Steinbrück am Wochenende seine Partei ausdrücklich darum bat, ihm "etwas Beinfreiheit" im Wahlkampf zu lassen, kochte auch wieder Skepsis hoch. "Diese Beinfreiheit darf nicht zum Gegenteil von dem führen, was in unserem Programm steht", mahnte etwa die Parteilinke Elke Ferner. Gleichwohl ist auch den parteiinternen Steinbrück-Kritikern klar, dass sich die nächste Bundestagswahl nicht mit der reinen linken Lehre gewinnen lässt. So gesehen war das einstimmige Votum der 35 Vorstandsmitglieder für Steinbrücks Kandidaten-Nominierung am Ende keine sonderliche Überraschung.

Mit diesem kollektiven Bekenntnis im Rücken schlug der Herausforderer von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auch gleich ein paar Pflöcke ein. Ein Bündnis mit der Linkspartei und den Piraten komme für ihn nicht infrage. Auch gelte es, nicht nur die Kernwählerschaft abzuholen, sondern die vielen "im SPD-Wartesaal". Und das mit einem Wahlkampf, bei dem Witz und Humor nicht zu kurz kämen.

Keinen Spaß verstand Steinbrück jedoch, als einige Journalisten auf dessen üppige Honorare für Vorträge bei Banken und Versicherungen zu sprechen kamen. Auch Medienvertreter würden ja gelegentlich solche Veranstaltungen für Geld moderieren, schoss Steinbrück ungehalten zurück. Als Kanzlerkandidat werde er aber jetzt die bezahlte Vortragstätigkeit einstellen und auch sein Aufsichtsratsmandat bei Thyssen-Krupp niederlegen. Seinen zweiten Aufsichtsratssitz, den bei Borussia Dortmund, wolle er aber unbedingt behalten, versicherte Steinbrück.

Nach Angaben von Parteichef Sigmar Gabriel will sich die SPD im Wahlkampf auf zwei Schwerpunktthemen konzentrieren: eine Zähmung der Finanzmärkte und die Wiederherstellung des "sozialen Gleichgewichts". Beim ersten Punkt ist Steinbrücks Kompetenz unbestritten. Seinem jüngst vorgestellten Papier zur Bankenregulierung zollen unabhängige Fachleute ebenso Anerkennung wie die Parteilinke.

Schwieriger wird's bei der sozialen Frage. Steinbrück hat die vormalige Agenda-Politik mit ihren Einschnitten bei Arbeitsmarkt und Rente maßgeblich mitbestimmt. Umso brisanter ist der schwebende Konflikt über das künftige Rentenkonzept der SPD, dessen Ausgang gestern jedoch ein weiteres Mal vertagt wurde. Noch in der Vorwoche hatte Gabriel für die gestrige Vorstandssitzung einen Vorschlag angekündigt, wie die umstrittene Absenkung des Rentenniveaus verhindert werden kann. Doch diese Offerte entpuppte sich als Ente. Gabriel wartete lediglich mit dem Vorschlag zur abermaligen Einsetzung einer Arbeitsgruppe auf, für die der Vorstand grünes Licht gab. Dem Vernehmen nach wird jetzt SPD-intern darüber debattiert, die in der Rentenformel enthaltene "Riestertreppe" zumindest teilweise zu kippen. Dieser Faktor dämpft den Anstieg der Altersbezüge dauerhaft. Eine endgültige Entscheidung über die Rentenpläne ist nun erst Ende November auf einem kleinen Parteitag zu erwarten.

Schon am heutigen Dienstag wird Steinbrück und Gabriel das Thema allerdings weiter verfolgen. Beide Genossen statten den Spitzenvertretern des Deutschen Gewerkschaftsbundes einen Besuch ab. Und die haben sich schon allesamt gegen eine weitere Absenkung des Rentenniveaus ausgesprochen. "Friede Freude, Eierkuchen."

Ein SPD-Vorstand zur Kandidatenkür von Peer Steinbrück

Meinung

Im Renten-Nebel

Von SZ-Korrespondent

Stefan Vetter

Erst das Programm, dann die Person. So hatte es sich SPD-Chef Sigmar Gabriel in seinem Drehbuch zur K-Frage ausgedacht. Doch ein paar gezielt gestreute Indiskretionen verkehrten den Plan ins Gegenteil. Jetzt ist Peer Steinbrück der Kandidat, aber das Programm liegt bei entscheidenden Punkten noch im Nebel. Wie halten es die Genossen mit der künftigen Alterssicherung? Wollen sie wirklich das Rentenniveau zu Lasten der Beitragszahler einfrieren? Wenn ja, dann wäre das wohl kaum im Sinne von Peer Steinbrück. Hat er sich doch nicht umsonst "Beinfreiheit" für den Wahlkampf gewünscht. An der Rentenfrage wird sich entscheiden, welchen Spielraum die SPD ihrem Kandidaten tatsächlich zubilligt.

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