Paukenschlag im Königreich

London · David Cameron war fast schon abgeschrieben. In einer furiosen Wahlnacht meldete er sich mit absoluter Mehrheit zurück. Europa und Schottland lauten nun die Baustellen für den neuen und alten Premier des Königreichs.

 Daumen hoch: David Cameron und seine Frau Samantha posieren nach dem Wahlsieg gut gelaunt vor der Downing Street 10. Fotos: dpa

Daumen hoch: David Cameron und seine Frau Samantha posieren nach dem Wahlsieg gut gelaunt vor der Downing Street 10. Fotos: dpa

Als David Cameron gestern Nachmittag vor seine Haustür in Downing Street Nummer zehn trat, um seine Triumphrede zu halten, wirkte das Vereinigte Königreich von den Ereignissen der zurückliegenden Stunden noch wie benommen. Zu viel war zu schnell passiert. Am Donnerstagabend um Punkt 22 Uhr blinkten am Piccadilly Circus kurzzeitig keine bunten Werbeanzeigen, sondern es leuchtete die erste Hochrechnung auf. Und die Menschen rieben sich die Augen: Die Zahlen deuteten an, was zunächst keiner glauben wollte, gestern aber zur Gewissheit wurde: Eine absolute Mehrheit für die konservativen Tories und ein eindrucksvoll im Amt bestätigter britischer Premier namens Cameron. Meinungsforscher hatten monatelang eine der spannendsten Parlamentswahlen der Geschichte Großbritanniens prophezeit, ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen sozialdemokratischer Labour-Partei und konservativen Tories, an dessen Ende eine Patt-Situation warten würde. Es kam anders.

"Dies ist der süßeste Sieg von allen", sagte Cameron. Die Konservativen haben vor allem von ihrer Wirtschaftspolitik profitiert. Als Cameron 2010 in die Downing Street einzog, kämpfte das Land mit den Folgen der Finanzkrise. Er führte Großbritannien mit einer harten Sparpolitik aus der tiefen Rezession heraus, die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosenzahlen sinken. Das kam an. "Viele Wähler schreckten vor einem Wandel zurück", sagte Patrick Dunleavy, Professor an der London School of Economics (LSE). Trotz Cameron als Spitzenkandidaten, der für viele Briten das Establishment verkörpert wie kaum ein anderer. Mit seiner Politik für die Reichen habe er die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert, warf ihm die Opposition gerne vor. Ohne Erfolg.

Während Cameron Königin Elizabeth II. die Aufwartung machte, um die Zustimmung zur Regierungsbildung zu erbitten, trat Ed Miliband als Konsequenz aus der Pleite gestern vom Vorsitz der Sozialdemokraten zurück - nicht ohne die enttäuschte Menge zu ermuntern: "Wir sind früher schon zurückgekommen, und diese Partei wird wieder zurückkommen." Er kämpfte lange mit seinem Image als "merkwürdiger Intellektueller", ganz los wurde er es nie. Aber Miliband ist nur einer der prominenten Namen auf der langen Verliererliste, die nun ein "Ex-" vor ihre Positionen setzen müssen.

Nick Clegg , Ex-Chef der Liberaldemokraten und Ex-Vizepremier in der bisherigen Regierung, gab sein Amt nach den "vernichtenden" Wahlergebnissen ebenfalls auf. Für eine weitere Überraschung sorgte die Schlappe der rechtspopulistischen Unabhängigkeitspartei Ukip. Noch am Vormittag stand Parteichef Nigel Farage neben den Mitstreitern in seinem Wahlkreis South Thanet im Scheinwerferlicht. Nach der Verkündung seiner Niederlage wirkte er, als sei er plötzlich fehl am Platz. Kurz darauf trat Farage, der unentwegt gegen die EU-Einwanderung wetterte, wie angekündigt zurück. Nur ein Ukip-Kandidat schaffte den Sprung ins Parlament - auch wenn rund vier Mal so viele Briten für die Partei gestimmt hatten als vor fünf Jahren. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts, bei dem lediglich der Politiker, der die meisten Kreuze in seinem Bezirk bekommt, ins Parlament einzieht, und die Stimmen für die unterlegenen Kandidaten verloren gehen, konnte Ukip den Stimmenerfolg nicht in Abgeordnetensitze ummünzen.

Während der Star der EU-Hasser von der politischen Bühne erst einmal verschwunden ist, leuchtete im Norden ein neuer auf. Studentin Mhairi Black schaffte in Schottland die Sensation. Die 20-Jährige von der Schottischen Nationalpartei (SNP) schnappte ausgerechnet Douglas Alexander, Wahlkampfmanager der Labour-Partei und Schatten-Außenminister von Ed Miliband , das Direktmandat in einem Glasgower Wahlkreis weg. Black, die das jüngste Parlamentsmitglied im Westminster-Palast seit 1667 ist.

Die Nationalisten beerben die einst dominante Labour-Partei nicht nur, sie haben sie praktisch vernichtet, vor allem dank ihrer Vorsitzenden Nicola Sturgeon, die den Wahlkampf mit Leidenschaft und Patriotismus aufgemischt hat. Die 44-Jährige traf nicht nur mit ihrem Kampf für nukleare Abrüstung oder sozialpolitischen Themen den Nerv der Schotten, auch die Autonomiebestrebungen dominieren noch immer viele Tischgespräche. Der Sieg der Konservativen könnte womöglich schneller zu einem erneuten Schottland-Referendum führen. Die Politologin Kate Jenkins von der LSE schilderte es so: "Die Nationalisten der SNP haben mit dem Referendum eine Schlacht verloren, aber den Krieg haben sie gewonnen." Siehe diese Wahl.

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