Wenn Kinder Namensschilder tragen müssen

Von weit hinten dringt ein Kinderlachen. Sonst ist es am Freitagmittag recht ruhig in den etwas verwinkelten, in fröhlichem Grün gehaltenen Fluren der Kita Brebach in Saarbrücken. Das Klettergerüst draußen im Garten ist verwaist, im Spielzimmer spielen nur ein paar Kinder mit Autos und Traktoren, Klötzchen und Duplo-Steinen.

 Der kleine Luca ist eines von gerade einmal 13 Kindern in der 70 Plätze umfassenden Kita Brebach. In der Not-Kita blieb am ersten Streiktag der große Ansturm aus. Foto: Oliver Dietze

Der kleine Luca ist eines von gerade einmal 13 Kindern in der 70 Plätze umfassenden Kita Brebach. In der Not-Kita blieb am ersten Streiktag der große Ansturm aus. Foto: Oliver Dietze

Foto: Oliver Dietze

Die Tagesstätte ist eine von vier Saarbrücker Notdienst-Kitas, die trotz des gestern begonnenen, unbefristeten Streiks geöffnet haben. Wer deshalb mit Trubel und Stress gerechnet hat, weil alle Eltern, deren eigentliche Tagesstätten geschlossen sind, hier ihre Kinder unterzubringen versuchen, wird überrascht: Insgesamt 70 Plätze hat die Kita Brebach, aber am ersten Streiktag sind gerade mal 13 Kinder da.

Die Brebacher Turnhalle ist am gleichen Morgen brechend voll. Menschen sitzen auf der Versammlung der Gewerkschaft Verdi auf Tischen und Heizkörpern. Viele der eingeladenen Erzieherinnen und Erzieher haben ihre Kinder mitgebracht. Neben zahlreichen Saar brückern sind auch Menschen aus Neunkirchen, Völklingen und Schmelz in der Turnhalle. Zum Auftakt des Streiks steht ein Wort für das gemeinsame Ziel der über 500 Anwesenden: Aufwertung. Wen man auch fragt in der Turnhalle, jeder nimmt das Wort in den Mund. Sie sagen, es ginge ihnen nicht nur um mehr Geld, sondern um eine bessere Wahrnehmung ihres Berufsstandes.

"Aufwertung jetzt" ist auch hier und da in der Kita Brebach zu lesen: auf leuchtend roten Westen, mitgebrachten Plakaten. Denn auch das Personal hier ist eigentlich im Streik. Und ortsfremd. Bis auf eine Erzieherin ist das gesamte Team normalerweise ganz woanders zu Hause: am Franzenbrunnen und in Ensheim. Die Mannschaft ist zusammengewürfelt, und am folgenden Montag wird die Besetzung schon wieder ganz anders aussehen. Denn die Einrichtung in Brebach sowie auch die Kita Herrensohr wird während des Streiks nicht von der Stadt, sondern von der Gewerkschaft selbst betrieben, als Entgegenkommen für die Eltern. Deshalb wechseln sich die Gewerkschaftler täglich ab, während die Kollegen streiken. Glücklich sind die Erzieher damit nicht.

Der friedliche Eindruck, den die Kita Brebach am Mittag macht, täuscht nämlich ein wenig. "Heute Morgen wurde viel geweint", erzählt die sonst am Franzenbrunnen tätige Erzieherin Klaudia Mendrella. Die Kinder sind mit fremden Erziehern konfrontiert, mit fremden Kindern, und die Auswärtigen unter ihnen auch noch mit einer fremden Umgebung. "Das widerspricht eigentlich unseren pädagogischen Grundprinzipien", sagt Sven Becken, der an diesem Tag die Einrichtung in Brebach leitet, sonst aber ebenfalls am Franzenbrunnen arbeitet. Mit "Vertrauen, Bindung und Eingewöhnung", was in der Erziehungsarbeit wichtig sei, habe das nicht viel zu tun, sagt Mendrella. Auch deshalb nutzen vermutlich viele Eltern das Angebot der Not-Kitas nicht. Sven Beckens dreieinhalbjähriger Sohn ist heute bei seiner Oma.

"Viele Erzieherinnen sind wütend auf den KAV", ruft Michael Blug den Streikenden in der Turnhalle entgegen und meint damit den Kommunalen Arbeitgeberverband Saar. Der Verdi-Vorsitzende für Rheinland-Pfalz und das Saarland wedelt mit der aktuellen Saarbrücker Zeitung. Im Interview mit der SZ hatte der KAV-Vorsitzende Armin Emanuel vorgestern von einer "nicht so schlechten" Bezahlung der Erzieher und von einer Gehaltserhöhung im Jahr 2009 gesprochen. "Unredlich" nennt Blug so eine Aussage und erntet tosenden Applaus der Anwesenden. Eine "Erhöhung" sei das nämlich eigentlich nicht gewesen, rechnet die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vor. Vielmehr sei damit eine vorhergehende "Verschlechterung behoben" worden. Aktuell verdient eine Erzieherin ohne Berufserfahrung laut Tarif 2590 Euro Brutto, im Laufe der Berufsjahre kann das Gehalt auf bis zu 3289 Euro klettern. Laut Zahlen der GEW liegt das durchschnittliche Einkommen der höchstgruppierten Erzieher noch immer mehr als 300 Euro unter dem Durchschnittseinkommen aller deutschen Arbeitnehmer. Deshalb fordern die Gewerkschaften rund zehn Prozent mehr Gehalt.

"Kann ich absolut nachvollziehen", sagt Ferhat Akbohat, der gerade seine Tochter Amy abholt. Er hat Verständnis für die streikenden Erzieher , auch wenn die Situation für seine Frau und ihn ein paar Umstellungen bedeutet: Eigentlich würde seine Frau die Tochter abholen, aber als Selbstständiger ist er flexibel. Sollte die Kita in der Folgezeit irgendwann doch mal voll sein, müsste er wohl zu Hause bleiben. "Guck mal", ruft Amy zwischendurch ihrem Papa zu und zeigt mit dem Finger auf das Namensschild auf ihrer Brust. Das ist neu. Aber nötig: Die Erzieher kennen die Kinder ja nicht. Schwierigkeiten bereite das nicht, hofft Akbohat: "Amy passt sich ganz gut an."

Mehr Kompetenz, mehr Aufgaben, mehr Verantwortung: Das Berufsbild Erzieher habe sich verändert, die Bezahlung aber nicht, machen Michael Blug und andere Verdi-Vertreter, die ans Pult in der Turnhalle treten, immer wieder deutlich. "Jahrelang hat man uns ein schlechtes Gewissen gemacht", ermutigt Kita-Leiterin Stefanie Heisig aus Saarbrücken ihre Kolleginnen in der Halle. Jetzt sollten die Arbeitgeber mal schauen, "wie lange die Ladys es aushalten".

Auch die Großtante des Bruderpaares Jim und John kann die Streikgründe verstehen, erzählt sie, als sie die Jungs gerade in der Kita Brebach abholt. "Trotzdem ist es nervig." Solange sie in die Kita gehen könnten, ändere sich für die Familie erst einmal nichts. Erst wenn die Einrichtung doch einmal voll sein sollte: Dann müsse die 21 Jahre alte Mutter der Brüder, die selbst noch zur Schule geht, eben Schule schwänzen. Passieren könnte das: Derzeit hat Verdi bis zum 21. Mai Streik-Aktionen geplant.

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