Koalitionsverhandlungen Ampel-Parteien planen offenbar Freigabe von Cannabis

Die Verhandler von SPD, Grünen und FDP geben sich weiter zugeknöpft. Bislang dringen nur wenige Informationen aus den Koalitionsgesprächen nach draußen. Ein Papier aus der Arbeitsgruppe für Gesundheit sorgt jedoch für Gesprächsstoff.

 Knospen von Cannabis-Pflanzen (Archiv).

Knospen von Cannabis-Pflanzen (Archiv).

Foto: dpa/Christian Beutler

In der kommenden Woche soll er stehen, der Koalitionsvertrag für das Bündnis von SPD, Grünen und FDP. Und bislang geht der Plan von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und den anderen Verhandlern weitgehend auf, dass die Gespräche vertraulich bleiben. Anders als die Verhandlungen für ein Jamaika-Bündnis von Grünen und FDP mit der Union 2017, als regelmäßig neue Papiere öffentlich gemacht und diskutiert wurden, wahren die Ampel-Arbeitsgruppen bislang weitgehend eiserne Disziplin. Die Verschwiegenheit ist auffällig und sorgt in den Parteien selbst für Verunsicherung, wie weit die Gespräche gediegen sind. „Wer erwischt wird beim Leaken, fliegt raus“, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold am Freitag.

Aus der Arbeitsgruppe für Gesundheitspolitik wurde zuletzt aber doch ein Zwischenergebnis bekannt. Das Papier, das unserer Redaktion vorliegt, umfasst sechs Seiten und trägt den Titel „Endfassung“. Für Debatten sorgte nun ein Abschnitt zur Freigabe von Cannabis. Darin heißt es: „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein.“ Dadurch könnten die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet werden, so die drei Parteien. Eine Bestätigung einer abschließenden Einigung gab es aber vorerst nicht. SPD, Grüne und FDP beraten zudem derzeit noch in Spitzenrunden über die finale Version eines Koalitionsvertrags. Ein Gesetz solle nach vier Jahren auf „gesellschaftliche Auswirkungen“ überprüft werden, heißt es zum Thema Cannabis in dem Papier weiter.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock wies die Annahme zurück, wonach die Ampel-Parteien sich bereits auf eine Legalisierung geeinigt hätten: „Nichts ist geeint, bevor nicht alles geeint ist“, sagte sie, auf das Thema angesprochen, am Freitag in Berlin vor weiteren Gesprächen mit Top-Verhandlern von SPD und FDP.

Doch eine Legalisierung des Suchtmittels gehörte von Anfang an zu den Punkten, auf die sich die drei Parteien voraussichtlich zügig einigen würden können. FDP und Grüne hatten sich für eine Legalisierung und einen „Verkauf in lizensierten Fachgeschäften“ ausgesprochen. Die SPD schrieb in ihrem Wahlprogramm von einer „regulierten Abgabe“ an Erwachsene zunächst in Modellprojekten.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte auf das Thema angesprochen am Freitag in der Sendung „Frühstart“ von RTL/ntv: „Ich glaube, wir haben echt andere Sorgen. Ich brauche diesen Beschluss nicht.“ Er halte das für gefährlich und „mindestens für überflüssig“. Wüst nannte Regelungen in den Niederlanden als negatives Beispiel. Es sei dort etwa nicht gelungen, Cannabis aus dem illegalen Bereich des Drogenhandels zu verbannen. Clankriminalität in Verbindung mit dem Cannabishandel sei explodiert.

Andere Punkte des Papiers umfassen beispielsweise den Kampf gegen den Fachkräftemangel. So heißt es darin: „Wir vereinfachen und beschleunigen die notwendige Gewinnung von ausländischen Fachkräften und die Anerkennung von im Ausland erworbener Berufsabschlüsse.“ Kommen die entsprechenden Passagen in den Koalitionsvertrag, dürfen auch Hebammen auf Verbesserungen hoffen. Im Papier heißt es: „Wir setzen das Nationale Gesundheitsziel ,Gesundheit rund um die Geburt’ mit einem Aktionsplan um.“ Mögliche Fehlanreize rund um Spontangeburten und Kaiserschnitte sollen evaluiert werden. Zudem sieht die Ampel-Arbeitsgruppe einen Personalschlüssel für eine 1:1-Betreuung durch Hebammen während wesentlicher Phasen der Geburt vor. „Wir stärken den Ausbau hebammengeleiteter Kreißsäle und schaffen die Möglichkeit und Vergütung zur ambulanten, aufsuchenden Geburtsvor- und -nachsorge für angestellte Hebammen an Kliniken“, heißt es im Papier weiter.

Vorsichtige Zustimmung zum Papier kam von der AOK Rheinland/Hamburg. Der Vorsitzende des Vorstandes, Günter Wältermann, sagte unserer Redaktion: „Bei dem bisher bekannten Papier handelt es sich nur um eine Momentaufnahme. Ich begrüße den ganzheitlichen Ansatz das Gesundheitswesen aus Sicht des Patienten in den Blick zu nehmen, die Aufwertung der Regionen und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie von Prävention und Gesundheitsförderung.“ Die Verbesserung der Gesundheitsversorgung in strukturschwachen Gebieten in der Stadt oder auf dem Land sei für die AOK ein wichtiges Anliegen. „Positiv ist, dass die finanzielle Konsolidierung für die Jahre 2023 und 2024 angegangen wird und gleichzeitig Leistungskürzungen gegenüber den Versicherten ausgeschlossen werden“, so Wältermann.

An welchem Tag die Ampel-Parteien ihren Koalitionsvertrag in der kommenden Woche fertig haben wollen, ist noch offen. Mehrere hundert Menschen haben am Freitag in Berlin unterdessen bei einer Demonstration von „Fridays for Future“ von der neuen Bundesregierung einen konsequenten Klimaschutz gefordert. Vor der Landesvertretung von Rheinland Pfalz, wo sich Vertreter von SPD, Grünen und FDP zu Koalitionsgesprächen verabredet hatten, wurde unter anderem gefordert, Maßnahmen zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels im Koalitionsvertrag festzuschreiben. Es gehe darum, die Klimakrise aufzuhalten.

(jd/maxi/Agenturen)
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