Nach dem Nahles-Rücktritt Hat die SPD ihre Chefin weggemobbt?

Berlin · Druck, Drama, Demontage: Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles stellt sich die alte Frage nach dem Umgangston in der Politik neu. Es geht um die Grenze zwischen Intrige und üblicher Härte.

 Wieder ein leeres SPD-Pult, wieder ein Rücktritt an der Spitze. Der Umgang der Partei mit Führungsfiguren wie Andrea Nahles rückt in den Fokus.

Wieder ein leeres SPD-Pult, wieder ein Rücktritt an der Spitze. Der Umgang der Partei mit Führungsfiguren wie Andrea Nahles rückt in den Fokus.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Die SPD leckt sich nach dem bitteren Rücktritt von Andrea Nahles die Wunden. Als Reaktion auf Wahlniederlagen und Dauerkritik aus den eigenen Reihen hat die Partei- und Fraktionschefin die Machtfrage gestellt – und schließlich das Handtuch geworfen. Ein offener Widersacher wie Sigmar Gabriel, der selbst nicht mehr für den Bundestag antreten will, rät seiner Partei zu einer „Entgiftung“. Andere SPD-Politiker sagen, der Umgang mit Nahles sei „schändlich“ oder auch „beschämend“ gewesen.

Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht, die selbst im Herbst von der Spitze zurücktreten wird, sieht im Fall Nahles Züge von Mobbing. Das beginne da, „wo jemand von den eigenen Leuten durch anonyme Sticheleien und gezielt lancierte Beleidigungen so lange öffentlich demontiert wird, bis der Betreffende das Handtuch wirft“. Wagenknecht glaubt auch, dass Frauen es grundsätzlich schwerer haben in politischen Führungspositionen. Es sei zwar schon so, dass so etwas wie Nahles auch Männern passieren könne. „Aber natürlich werden an Frauen teilweise andere Maßstäbe angelegt. Einem Mann hätte man das Absingen von Karnevalsliedern oder eine rustikale Ausdrucksweise vielleicht noch durchgehen lassen“, sagt sie.

Kurt Beck kennt den bitteren Geschmack der Niederlage. Der frühere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz wurde 2008 als SPD-Bundesvorsitzender demontiert. „Da gibt es sicher die, die irgendwelche alten Rechnungen auf diese Art und Weise begleichen wollen“, sagt er. Auch gebe es die Furcht um das eigene Mandat, wenn die Umfrageergebnisse oder Wahlergebnisse nicht gut sind. „Bei einigen ist es schlicht und einfach eine Angewohnheit, die ich für absolut illoyal halte“, sagt Beck. In der SPD würden die Erwartungen an die jeweiligen Vorsitzenden „ins Unermessliche gesteigert“. Über Medien multipliziere sich dies, Social Media beschleunige den Prozess. Es gebe nun „zusätzliche Möglichkeiten, hintenrum zu spielen“. Aber gezieltes Mobbing gegen Frauen? Beck sieht keine wirklichen Ansatzpunkte. „Martin Schulz ist ein Mann, und die Umgehensweise mit ihm war nicht besser.“

Zum Umgang in der Politik zählt allerdings auch die Machtstrategie von Nahles selbst. Zur Eskalation trug bei, dass sie sich vor allem mit Vertrauten umgab und so wenig empfänglich für Kritik und andere Ansichten war – so beschreiben es jedenfalls Abgeordnete und Beobachter. So staute sich der Unmut über Monate auf. Dann kam der Versuch der Vorwärtsverteidigung, die Vertrauensfrage, die das Fass zum Überlaufen brachte.

Der preisgekrönte Dokumentarfilmer Stephan Lamby, ein genauer Beobachter des politischen Betriebs in Berlin, sieht den Rückzug von Nahles auch als Folge eines immer schärferen Umgangstons unter Spitzenpolitikern. „Der Druck, der intern auf sie ausgeübt wurde, war enorm. Sie konnte sich dem nicht mehr entziehen“, sagt Lamby. Viele ihrer parteiinternen Kritiker hätten jede Zurückhaltung aufgegeben. „Es ist die übliche Härte der Politik – und die ist alles andere als neu. Daher sollte man jetzt nicht so tun, als wäre das ein ungewöhnliches Phänomen“, sagt Lamby aber auch.

Auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer lernte das Phänomen dieser Tage kennen. Nach der Schlappe bei der Europawahl und wegen unglücklicher Äußerungen wie im Fall Rezo geriet auch die Saarländerin teils mächtig in die Kritik, intern wie extern.

Die deutsche Sozialdemokratie habe allerdings zudem ein grundsätzliches Problem mit ihren Führungsfiguren, meint der Psychologe Stephan Grünewald. Derjenige, der Erster unter Gleichen sei, durchbreche die Gleichheit der Brüder. „Und dem begegnet man tendenziell mit Argwohn. Man braucht dann schon Vaterfiguren wie Willy Brandt oder Helmut Schmidt, die von der Brüdergemeinschaft akzeptiert werden – jedenfalls solange sie im Zenit ihrer Macht stehen.“ Dagegen sei die CDU eine Unternehmerpartei mit patriarchischen Zügen.

Vor zwei Jahren habe die SPD mit Martin Schulz, Sigmar Gabriel und Hannelore Kraft noch über Persönlichkeiten mit gewisser Strahlkraft verfügt, meint Grünewald. Doch die sind weg, die Partei rutschte inzwischen auf 15 Prozent. „Hier wären Trauerarbeit und eine inhaltliche Neuausrichtung wichtig“, rät Grünewald. Durch die vielen Führungswechsel sieht der Psychologe die SPD mittlerweile zudem in einem Dilemma, das ihn an russische Matrjoschka-Puppen erinnere: „Sie köpfen immer eine Führungsfigur und ziehen dann eine kleinere hervor.“ Und wer kommt nach Nahles?

Das wird jetzt heftig diskutiert bei den Genossen. Manuela Schwesig, eine der drei Interims-Chefs im Führungstrio, plädierte am Dienstag dafür, vor der Ernennung einer neuen SPD-Spitze zunächst ein Meinungsbild an der Basis einzuholen. Sie sei zunächst für „Zuhören“.

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