Interview in Berlin Ex-Kanzlerin Angela Merkel entschuldigt sich nicht für ihre Russland-Politik

Update | Berlin · Die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine scharf verurteilt. Für ihre Politik im Ukraine-Konflikt und im Umgang mit Russland wolle sie sich jedoch nicht entschuldigen.

Ex-Kanzlerin Angela Merkel entschuldigt sich nicht für ihre Russland-Politik​
Foto: dpa/Fabian Sommer

„Das ist ein brutaler, das Völkerrecht missachtender Überfall, für den es keine Entschuldigung gibt.“ Ex-Kanzlerin Angela Merkel findet am Dienstagabend (7. Juni) in Berlin klare Worte. Es sei nicht gelungen, eine Sicherheitsarchitektur zu schaffen, die den Krieg verhindert hätte, so Merkel. Der Angriff sei von Russlands Seite ein großer Fehler, sagte sie bei einer vom Aufbau Verlag und dem Berliner Ensemble organisierten Veranstaltung im Gespräch mit dem „Spiegel“-Reporter Alexander Osang. Er hatte Merkel mehrfach porträtiert. Die Ex-Kanzlerin stellte sich erstmals seit dem Ende ihrer Kanzlerschaft den Fragen eines Journalisten.

Angesichts des Krieges in der Ukraine würde sich Merkel fragen: „Was hat man vielleicht versäumt? Hätte man noch mehr tun können, um eine solche Tragik – ich halte diese Situation jetzt schon für eine große Tragik – hätte man das verhindern können. Und deshalb stellt man sich, stelle ich mir natürlich immer wieder diese Fragen.“ Angesprochen auf ihren Umgang mit Russland im Verlauf des Ukraine-Konflikts sagte Merkel: „Diplomatie ist ja nicht, wenn sie nicht gelingt, deshalb falsch gewesen. Also ich sehe nicht, dass ich da jetzt sagen müsste: Das war falsch, und werde deshalb auch mich nicht entschuldigen.“

Merkel plädiert für eine Verstärkung der militärischen Abschreckung gegenüber Russland. „Das ist die einzige Sprache, die Putin versteht“, so Merkel. Verantwortung für ausgebliebene Investitionen in die Bundeswehr wies sie zurück – und indirekt dem früheren Koalitionspartner SPD zu. „Ich bin jetzt heilfroh, dass wir nun uns endlich auch entscheiden, nachdem die ganze Welt bewaffnete Drohnen hat, dass wir auch welche kaufen. Und es ist auch nicht an mir gescheitert, dass bestimmte andere Dinge nicht stattfinden konnten“, sagte die Ex-Kanzlerin. Es sei ein „sehr zähes Ringen“ gewesen, „überhaupt in die militärische Abschreckung zu investieren“.

In die neue Bundesregierung und ihren Amtsnachfolger Olaf Scholz (SPD) habe Merkel „volles Vertrauen“. Der Regierungsübergang sei sehr gut gelaufen. Es seien Menschen am Werk, die keine „Newcomer“ seien und die Gegebenheiten kennen würden. Nach 16 Jahren als Kanzlerin sei es für sie der richtige Zeitpunkt gewesen, im vergangenen Herbst aufzuhören.

Auf die Frage, wie es ihr gehe, sagte Merkel, ihr persönlich gehe es sehr gut. Die „Zäsur“ des russischen Kriegs gegen die Ukraine beschäftige aber auch sie sehr. Sie sei manchmal bedrückt.

Merkel gab auch Einblicke, warum sie sich nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt nicht zu tagesaktuellen Themen äußern will: „Ich bin Bundeskanzlerin a. D.“ Sie sei keine „ganz normale Bürgerin“. Sie müsse noch vorsichtiger sein, zu aktuellen Dingen etwas zu sagen – ob nun das 9-Euro-Ticket gut sei oder nicht. Es sei nicht ihre Aufgabe, Ratschläge von der Seitenlinie zu geben.

Merkel erzählte, sie bekomme viele Einladungen, wolle aber nicht nur Termine abarbeiten. Wenn sie lese, sie mache nur noch „Wohlfühltermine“, dann sage sie: „ja.“ 16 Jahre lang sei alles, was irgendwie von Relevanz gewesen sei, an ihrem Tisch vorbeigekommen. Sie habe sich nie um Verantwortung gedrückt. Nun wolle sie sich erst einmal erholen und Abstand gewinnen.

Merkel erzählte von langen Wanderungen im Winter an der Ostsee, sie habe viele Podcasts gehört. Ihr sei nicht langweilig geworden, sie habe die Tage richtig gut rumbekommen. Früher habe sie nur „Termine, Termine, Termine“ gehabt. Sie komme mit ihrem neuen Lebensabschnitt sehr gut zurecht.

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