Krieg in der Ukraine Russlands „vergewaltigte Gesellschaft“ schweigt

Moskau · Mit seiner „Spezialoperation“ in der Ukraine zerstört sich Russland auch selbst. Um die Unerträglichkeit zu ertragen, schützen sich viele Menschen im Land – mit Gleichgültigkeit, Verzweiflung, Schweigen.

 So wie hier an der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau gehen viele Russen ihrem Alltag nach. Der Krieg in der Ukraine scheint weit weg.

So wie hier an der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau gehen viele Russen ihrem Alltag nach. Der Krieg in der Ukraine scheint weit weg.

Foto: AP/Alexander Zemlianichenko

„Krieg? Welcher Krieg denn?“ Es war der 24. Februar, als Sergej, der ein Bürohaus im Westen Moskaus bewacht, müde und irritiert von seinem Smartphone aufschaute. In den Morgenstunden an jenem nassen Februartag hatte der russische Präsident Wladimir Putin seinen Marschbefehl zum Überfall der Ukraine gegeben. „Ach das, in der Ukraine. Dort gibt es doch eine militärische Spezialoperation“, sagte der Wachmann in olivgrüner Uniform mit den Worten seines Präsidenten und starrte wieder auf sein Smartphone. Der Ukraine-Boulevard ist nicht weit weg von seinem Arbeitsplatz, der Kiewer Bahnhof ist in Fußdistanz, das Hotel „Ukraina“ strebt hier um die Ecke als eines der sieben Stalin‘schen „Schwestern“ im Zuckerbäckerstil in die Höhe. Sergej läuft jeden Tag daran vorbei. Die Ukraine ist in dieser Ecke Moskaus allein sprachlich immer präsent. Der Wachmann denkt nicht allzu viel über das Land nach, das er seit Sowjetzeiten nie mehr besucht hat.