"Europa muss Obama stärken"

Saarbrücken. Als außenpolitischer Redner zieht Hans-Dietrich Genscher immer noch - auch 17 Jahre nach dem Ende seiner Laufbahn als deutscher Außenminister. Und er imponiert offenkundig gerade den Jüngeren: Der Musiksaal an der Uni Saarbrücken, der etwa 300 Leute fasst, ist bis auf den letzten Platz besetzt

Saarbrücken. Als außenpolitischer Redner zieht Hans-Dietrich Genscher immer noch - auch 17 Jahre nach dem Ende seiner Laufbahn als deutscher Außenminister. Und er imponiert offenkundig gerade den Jüngeren: Der Musiksaal an der Uni Saarbrücken, der etwa 300 Leute fasst, ist bis auf den letzten Platz besetzt. Mit einem höchst disziplinierten studentischen Auditorium: Einwürfe oder Zwischenfragen bleiben aus, stattdessen stehende Ovationen und langer Beifall vor und nach dem Referat Genschers zum Thema "Die neue amerikanische Außenpolitik - Fluch oder Segen für Deutschland und Europa". Wobei sich der 82-Jährige, der an diesem Tag mit einem zusätzlichen Pressegespräch und einer großen Abendveranstaltung mit Saar-FDP-Chef Christoph-Hartmann ein Mammutprogramm absolviert, länger bei Europa und Deutschland aufhält als bei den USA. Wohl weil ihm die Genese Europas als Vorbild für die Bildung einer möglichen neuen Weltordnung dient, deren Zeit er - nach der "verheerenden Politik" von George W. Bush - jetzt unter Barack Obama durchaus für gekommen sieht.

Europa, insbesondere auch Deutschland, habe aus seiner Geschichte gelernt: Von einer Politik des Strebens nach Vorherrschaft großer Staaten sei Europa schließlich zu einer Politik der Kooperation, der Ebenbürtigkeit und Gleichberechtigung von Regionen und Ländern gelangt. Der europäische Einigungsprozess, meint Genscher, könne ein Modell für eine künftige Weltordnung sein. Noch sieht der erfahrene Weltpolitiker aber dringenden Handlungsbedarf: Die G 8 - die Gruppe der führenden Industrienationen der Welt, die gemeinsam die akuten Fragen globaler Politik behandelt - repräsentiere nur die nördliche Halbkugel. Nach Ansicht des FPD-Politikers aber müssten China, Indien und Brasilien als wichtige globale Mitspieler unbedingt eingebunden werden. Anders seien aktuelle Herausforderungen wie die globale Finanz- und Sicherheitsarchitektur, die Klima- und Agrarpolitik nicht zu meistern.

Genscher stellt sich eine Weltordnung vor, "in der es weder Privilegien für Einzelne, noch das Bestimmen Einzelner über andere gibt". Den Weg dorthin traut er Obama durchaus zu: "Ich sehe im Auftreten dieses Präsidenten eine große Chance für die Welt", sagt Genscher optiministisch. Kaum je ein Präsident habe ein so schweres Erbe übernommen. Die Europäer fordert der ehemalige deutsche Außenminister auf, Obama viel energischer zu unterstützen. Denn: "Was Obama vertritt, entspricht exakt den Gundideen der Europäischen Union." Auch die jüngsten Proteste im Iran gegen den Wahlausgang seien "möglicherweise eine Folge der Rede Obamas in Kairo". Den Europäern und Amerikanern rät er in Sachen Iran, zu Themen wie Demonstrationsfreiheit zwar eindeutig Position zu beziehen, sich ansonsten aber mit Ratschlägen klug zurückzuhalten.

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