Obama greift Europäer an - gemeint ist Angela Merkel
Washington. Es ist bereits das zweite Mal, dass der Präsident der größten Volkswirtschaft der Welt den Europäern öffentlich den Kopf wäscht. Eigentlich wollte Barack Obama bei seinem Auftritt in Kalifornien nur Wahlkampfgelder sammeln
Washington. Es ist bereits das zweite Mal, dass der Präsident der größten Volkswirtschaft der Welt den Europäern öffentlich den Kopf wäscht. Eigentlich wollte Barack Obama bei seinem Auftritt in Kalifornien nur Wahlkampfgelder sammeln. Doch stattdessen landete er eine Breitseite, die es in sich hat: Zwar mühten sich die Europäer, in der Euro-Krise "verantwortungsvoll zu handeln, aber diese Aktionen waren nicht ganz so schnell, wie es nötig gewesen wäre". Im Klartext: Zu spät, zu mutlos, zu zögerlich agierten die Europäer. Namen nannte Obama freilich nicht.Die lieferte allerdings die "Washington Post" nur Stunden nach dem Obama-Auftritt. "Die Weltwirtschaft könnte davon abhängen, wie Frau Merkel die Krise in den nächsten Tagen anpackt", kommentierte das Flaggschiff der US-Presse. "Mutiges Führen ist nicht selbstverständlich für deutsche Nachkriegs-Politiker . . .". Solidarität und Verantwortung sei jetzt von Deutschland gefragt. Seit langem ging das Blatt nicht mehr so hart mit einer Regierung in Berlin ins Gericht.
Die Harmonie zwischen Europa und den USA in Sachen Wirtschaftspolitik ist lange dahin. Immer häufiger geraten beide Seiten aneinander. Statt auf Hilfe von jenseits des Atlantiks zu hoffen, geht die Furcht um, von der Krise des anderen mit in den Schlamassel gezogen zu werden. Die USA treibt der Albtraum um, die Euro-Krise könnte wie 2008 Banken ins Trudeln stürzen, mit weltweiten Folgen.
Erst kürzlich etwa musste Finanzminister Timothy Geithner eine glatte Abfuhr einstecken, als er von seinen europäischen Kollegen in Breslau mehr Geld zur Konjunktur-Ankurbelung forderte. Die USA sollten erst einmal ihre eigene Schuldenkrise in den Griff kriegen, so der Tenor.
Allerdings: Obama ist mit seiner Kritik an den Europäern in guter Gesellschaft. Auch IWF-Chefin Christine Lagarde mahnt seit Wochen "schnelle und kühne Aktionen" an. Weltbank-Chef Robert Zoellick kritisiert, es sei "nicht verantwortungsvoll, einer Währungsunion Treue zu schwören, ohne eine Haushaltsunion ins Visier zu nehmen". Im Grunde formuliert Obama, was Experten und viele Europäer denken.
Die Krux: Die "Doppelkrise" in Europa und den USA macht das Vorgehen doppelt schwierig. Bei früheren Krisen waren es stets die USA, die ihre Wirtschaft rasch wieder in Gang brachten und den Rest der Welt mitzogen. Doch das funktioniert nicht mehr. Heute stehen beide Seiten des Atlantiks vor Herkulesaufgaben: Die Europäer stehen der Gefahr einer Staatspleite Griechenlands gegenüber, müssen selbst ein Abrutschen Italiens oder Spaniens befürchten. Die Amerikaner müssen ein Rezept zum Abbau ihrer Mega-Schulden in Höhe von über zehn Billionen Euro finden. Auf welcher Seite des Ozeans die Krise gefährlicher und schwieriger zu lösen ist, erscheint da eher als akademische Frage - mit gegenseitigen Schuldzuweisungen von eigenen Problemen abzulenken, ist dagegen verführerisch.
Meinung
Der Blinde und der Lahme
Von SZ-KorrespondentThomas Spang
Der griechische Dramatiker Euripides beobachtete treffend, dass wir als Ratgeber alle weise, aber blind gegenüber eigenen Fehlern sind. US-Präsident Obama liefert dafür mit seiner Kritik an den Europäern ein Paradebeispiel. In der Sache hat er gewiss Recht. Besteht doch nicht nur in den USA der Eindruck, die politischen Eliten der EU hechelten den Ereignissen immer hinterher. Nur ist Obama der falsche Botschafter dieser Kritik. Steht der Präsident doch selbst an der Spitze einer politischen Ordnung, die schon seit einiger Zeit nicht mehr funktional ist. Wie bedrohlich die Polarisierung in den USA inzwischen ist, musste die Welt im Sommer erkennen, als unverantwortliche Scharfmacher bereit schienen, die Supermacht bankrott gehen zu lassen. Aus unterschiedlichen Gründen leiden Europäer und Amerikaner unter der Handlungsunfähigkeit ihrer Eliten. In dieser Situation kann es Sinn machen, aufeinander zu hören. Wenn der Blinde den Lahmen trägt, kommen schließlich beide voran.