Scharfer Sparkurs an der Küste

Kiel. Sechs Stunden hatten sie gerungen, um Zahlen, Personalstellen und Prozente. Entsprechend abgekämpft traten der schleswig-holsteinische Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende Peter Harry Carstensen und Ralf Stegner, Landeschef der Sozialdemokraten und Fraktionsvorsitzender im Kieler Landtag, am Sonntagmittag vor die Presse

Kiel. Sechs Stunden hatten sie gerungen, um Zahlen, Personalstellen und Prozente. Entsprechend abgekämpft traten der schleswig-holsteinische Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende Peter Harry Carstensen und Ralf Stegner, Landeschef der Sozialdemokraten und Fraktionsvorsitzender im Kieler Landtag, am Sonntagmittag vor die Presse. Die Fraktionen der Großen Koalition, deren Spitzenmänner seit Jahren eher gegenseitige Abneigung als Partnerschaft vereint, hatten in zwei langen Treffen ihres Koalitionsausschusses das größte Sparpaket geschnürt, das es im nördlichsten Bundesland je gegeben hat.

Geplant ist, bis 2020 rund 4800 Stellen im Landesdienst abzubauen. Die SPD hatte bisher die sozialdemokratisch geführten Ressorts Polizei, Justiz und Bildung ausnehmen wollen, aber auch hier soll es nun Kürzungen geben. Allerdings, versprach Carstensen, werde "kein Polizist von der Straße, kein Lehrer aus dem Unterricht" abgezogen. Der Rotstift soll gezielt im Verwaltungsbereich kreisen. Es soll keine betriebsbedingten Kündigungen geben, aber das Land will keine Stellen mehr besetzen, die durch altersbedingte Abgänge frei werden. Bis 2015 sollen so schon 2700 Arbeitsplätze verschwinden. Außerdem soll die Neuverschuldung abgebaut und bis 2020 auf Null zurückgefahren werden.

Auslöser der Debatte, die fast zum Bruch der Koalition geführt hätte, ist die drohende Schuldenbremse, die allen Ländern verbietet, ab 2020 neue Schulden aufzunehmen. Schleswig-Holstein zählt, wie das Saarland, zu der Gruppe der hoch verschuldeten Nehmer-Länder, die sich mit der Vollbremsung schwer tun. Sie fordern flexiblere Lösungen, die den Übergang erleichtern.

Der Kieler Landtag hatte bereits eine Verfassungsklage gegen das derzeitige Modell beschlossen. Der Koalitionsausschuss vereinbarte nun, nicht zu klagen. Zwar solle die Schuldenbremse nicht in die Landesverfassung aufgenommen, aber faktisch umgesetzt werden: "Die Konsolidierung des Haushaltes ist vordringliche Aufgabe", heißt es in der gemeinsamen Erklärung der Fraktionen. Die Lage im Nordland, das ohnehin unter Strukturschwäche leidet, wird aktuell durch die HSH Nordbank, die gemeinsame Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein, erschwert. Um die HSH vor der sofortigen Pleite zu retten, hatten beide Länder in diesem Frühjahr drei Milliarden Euro frisches Kapital zugeschossen. Ein Sparkurs sei daher dringend erforderlich, sagte auch Stegner. Beide Seiten seien aber "weiterhin der Meinung, dass die gewährten Hilfen im Bund-Länder-Ausgleich nicht ausreichen". Ziel sei daher ein Altschuldenfonds, in den die armen Länder ihre Defizite verklappen könnten.

Ob das Land tatsächlich auf die Klage verzichtet, steht aber noch nicht fest. Gestern protestierte nicht nur die Opposition, sondern auch Landtagspräsident Martin Kayenburg (CDU), der sich dagegen verwahrte, dass ein Parlamentsbeschluss in kleiner Fraktionsrunde kassiert wird: "Die verfassungsmäßigen Rechte des Landtages stehen nicht zur Disposition von Koalitionsausschüssen." Zwar sei er inhaltlich für die Schuldenbremse, doch die Rechte des Landtages müssten gewahrt bleiben. Solange der Landtag seinen einstimmigen Beschluss für die Klage nicht aufhebt, "wird der Weg zum Bundesverfassungsgericht weiter verfolgt werden", sagte Kayenburg.

Widerstand gegen die Beschlüsse der Koalition gab es gestern auch von den Gewerkschaften. Gegenwehr gegen das "Streichkonzert" kündigte unter anderem die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) an: "Wer die Bildungsqualität an unseren Schulen steigern will, darf dort keine Stellen streichen. Trotz Schülerrückgangs brauchen wir jede frei werdende Stelle für kleinere Klassen, mehr Ganztagsschulen und mehr Schulsozialarbeit", sagte der GEW-Landesvorsitzende Matthias Heidn. "Kein Polizist wird von der Straße, kein Lehrer aus dem Unterricht abgezogen."

Peter Harry Carstensen

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