Sechs Tage gefangen im Eis

Wien/Innsbruck. Tag und Nacht liegen die Temperaturen um den Gefrierpunkt, ständig tropft Wasser herab und rundherum nichts als ewiges Eis. Sechs Tage und Nächte hat ein 70-jähriger Bergsteiger aus Bayern in einer Gletscherspalte in den Tiroler Alpen überlebt

 Bergretter holen den 70-jährigen Bergsteiger mit einem Flaschenzug aus der rund 20 Meter tiefen Gletscherspalte. Foto: Liebl/dpa

Bergretter holen den 70-jährigen Bergsteiger mit einem Flaschenzug aus der rund 20 Meter tiefen Gletscherspalte. Foto: Liebl/dpa

Wien/Innsbruck. Tag und Nacht liegen die Temperaturen um den Gefrierpunkt, ständig tropft Wasser herab und rundherum nichts als ewiges Eis. Sechs Tage und Nächte hat ein 70-jähriger Bergsteiger aus Bayern in einer Gletscherspalte in den Tiroler Alpen überlebt. Völlig durchnässt, aber mit 34 Grad Körpertemperatur nur leicht unterkühlt, wurde der 70-jährige Bayer am Dienstag auf die Intensivstation der Uniklinik Innsbruck eingeliefert. Ob er sich etwas wünsche, fragt ihn der stellvertretende Klinik-Direktor Volker Wenzel. "Am liebsten hätte ich ein halbes Radler", lautet die Antwort, die Schwestern lachten.Allerdings hat der Rentner einen Hüftbruch erlitten, der möglicherweise operiert werden muss. "Für einen Gletscherspaltensturz ist das aber eine leichte Verletzung", sagte der Mediziner gestern. Zudem leide er an leichten Erfrierungen an den Füßen und seine Nieren seien durch das mineralienarme Gletscherwasser, das er getrunken habe, belastet. Auch das sei leicht zu behandeln.

Der passionierte Bergsteiger war vergangenen Mittwoch nach eigenen Angaben bei einer Wanderung in den Stubaier Alpen am Schrankogel in eine Gletscherspalte gestürzt. Er überlebte darin sechs Tage und Nächte auf 3000 Metern Höhe, was für seine Retter einem Wunder gleichkommt. Seine gute Ausrüstung und herabtropfendes Wasser halten den Rentner am Leben. Am Dienstagvormittag hörten dann andere Bergsteiger seine Hilferufe und alarmierten die Einsatzkräfte.

"Die meisten, die in Gletscherspalten fallen, sind tot", sagt der Ausbildungsleiter der Tiroler Bergrettung, Peter Veider. Dass der Mann dann auch noch sechs Tage bei Temperaturen um die null Grad überlebte, sei gleich doppeltes Glück. Allerdings habe er gegen die zwei Bergsteiger-Grundregeln verstoßen: "Auf dem Gletscher ist man nie alleine unterwegs und immer angeseilt."

Mit Seilen ziehen die Retter den völlig durchnässten Mann aus der Spalte. Er ist sehr geschwächt, aber ansprechbar. Ein Hubschrauber bringt den Rentner in eine Innsbrucker Klinik. "Es ist eine Sensation, eine Woche dort zu überleben", sagte der Alpinpolizist Hansjörg Knoflach. "Mir ist kein Fall bekannt, dass jemand je so lange in einer Spalte überlebt hat."

"Er war sehr gut organisiert, hat sich sofort seine Vorräte rationiert", sagt der Klinikarzt Wenzel, der länger mit dem Bayern gesprochen hat. Ein kleines Stückchen Schokolade war die Tagesration, dazu herabtropfendes Schmelzwasser vom Gletscher. Ständig kämpfte der 70-Jährige in der Kälte gegen die Müdigkeit. "Ihm war klar, wenn er sich da hinlegt und tief einschläft, wacht er im Jenseits auf."

 Bergretter holen den 70-jährigen Bergsteiger mit einem Flaschenzug aus der rund 20 Meter tiefen Gletscherspalte. Foto: Liebl/dpa

Bergretter holen den 70-jährigen Bergsteiger mit einem Flaschenzug aus der rund 20 Meter tiefen Gletscherspalte. Foto: Liebl/dpa

Natürlich habe er über den Tod nachgedacht, erzählt der Bergsteiger später seinem Arzt. Aber der Gedanke an ein Wiedersehen mit seiner Familie - er hat zwei Söhne - habe ihm Kraft gegeben. Zudem sei er gläubig. Dem Bayern habe aber auch sein guter Gesamtzustand geholfen: "Er ist zwar 70 Jahre alt, aber passionierter Bergsteiger und körperlich sehr trainiert." 48 Stunden soll der Rentner noch auf der Intensiv-Station bleiben, dann wird er auf eine Normalstation verlegt. Den großen Wunsch nach einem halben Radler hat er allerdings bisher nicht erfüllt bekommen. "Wir sind ein öffentliches Krankenhaus und keine Bierkneipe", sagt Wenzel lachend.

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