Schatten über der Geburtstagsparty

London · Sir Cliff Richard ist einer der erfolgreichsten Popmusiker der Welt. Heute wird er 75 Jahre alt. Und er steht noch immer auf der Bühne, selbst wenn in Großbritannien die Vorwürfe gegen ihn wegen sexuellen Missbrauchs noch nicht vom Tisch sind.

Den Vorwurf, sonnengebräunt Kitsch zu verbreiten, muss sich Cliff Richard seit vielen Jahrzehnten gefallen lassen. Schnulzig. Triefend. So belächeln die Neider seine Lieder, manchmal ihn. Seine Anhänger listen dagegen lediglich die Zahlen auf, um seine Bedeutung zu verdeutlichen: Seit seinem Debüt im Jahr 1959 brachte er 46 Studio-Alben heraus, zudem sieben Soundtracks, zahlreiche Song-Zusammenstellungen und elf Live-Alben. 250 Millionen Platten hat er verkauft und noch viel bedeutender im Vereinigten Königreich: 1995 wurde der Mann mit dem für Werbung bestens geeigneten Zahnpastalächeln als erster Popstar von Königin Elizabeth II zum Ritter geschlagen.

Viel Zeit ist vergangen, seit Harry Rodger Webb, so sein gebürtiger Name, vor 57 Jahren im Showbusiness gelandet ist und mit "Living Doll" den ersten Nummer-eins-Hit in seiner britischen Heimat gefeiert hat. Zwölf weitere sollten folgen. Sogar beim Grand Prix d'Eurovision 1968 stand er mit dem Schlager "Congratulations" auf der Bühne und verpasste lediglich wegen eines Punkts den Sieg. Doch in den Musiker-Ruhestand will der bekennende Christ, der in Indien geboren wurde, auch nach Jahrzehnten im Showgeschäft nicht treten. Im Gegenteil. Kurz vor seinem 75. Geburtstag veröffentlichte Sir Cliff Richard sein 101. Album, das Bezug nimmt auf seinen Ehrentag: "75 at 75", so der Titel, besteht aus 74 Klassikern und einem neuen Lied. Sogar auf Tour ist er wieder, und das dürfte ihm vor allem auf der Insel schwerer fallen als früher - trotz der Fans, die zwar ebenfalls in die Jahre gekommen sind, aber sowohl in Liverpool als auch in Manchester und am heutigen Tag in London noch immer in Scharen zu seinen Konzerten pilgern.

Seit im August des vergangenen Jahres sein Anwesen in Sunningdale in der englischen Grafschaft Bershire durchsucht wurde, kämpft der bislang skandalfreie Sänger mit und gegen die Schlagzeilen der britischen Presse. Der Vorwurf: Zwischen Richard und einem damals noch nicht 16-jährigen Jungen soll es vor 30 Jahren bei einer Kundgebung zu einem Vorfall "sexueller Natur" gekommen sein, wie es die Fahnder nannten.

Anfang des Jahres hat die britische Polizei ihre Anschuldigungen wegen des Verdachts von Sexualstraftaten dann sogar noch ausgeweitet, in den nächsten Wochen wird mit Ergebnissen gerechnet. Richard wies die Vorwürfe stets als "völlig abwegig" und falsch zurück. Zu allem Ärger war denn auch die Rundfunkanstalt BBC letztes Jahr vorab über die Razzia informiert und filmte den Einsatz der Polizei sowie die Hausdurchsuchung vom Hubschrauber aus. Richard selbst befand sich da in seiner Sommerpause.

Die verbringt er meistens auf seinem Weingut in Portugal, dessen preisgekrönter Rot- und Roséwein sogar zu kaufen ist. Wenn es kälter wird, zieht er sich gerne in seine Zweitheimat Barbados zurück, wo er eine Villa besitzt, in der auch schon mal der frühere britische Premierminister Tony Blair entspannte. Nebenbei klingelt ohnehin die Kasse. Richard bringt beispielsweise neben seinen Platten und einem eigenen Parfüm auch jährlich einen Kalender heraus.

Während seiner jetzigen Geburtstagstour war von den Schatten, die Richard endlich wieder loswerden will, kaum etwas zu sehen. Aber werbewirksam Kritiker und Gerüchte wegzulächeln, das hat Sir Cliff Richard schon vor vielen Jahrzehnten gelernt oder vielmehr lernen müssen.

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