Prostitution hinterm Lattenzaun

Zürich · Mit dem ersten Strichplatz der Schweiz will Zürich seine bisherige Erotik-Meile trockenlegen. Die Anlage mit zehn Sexboxen wird am Montag eröffnet. Aber wie werden die Prostituierten reagieren?

Kein Auto, kein Sex. Das macht die Piktogrammtafel am ersten amtlichen Strichplatz der Schweiz in leicht verständlicher Symbolik klar. Wer auf dem Bike oder dem Motorrad kommen will, wird enttäuscht. Alles durchgestrichen. "Nur ein Freier pro Wagen", sagt ein Wachmann. "Keine Gaffer, und nix zu dritt oder so."

So gut wie alles im nagelneuen Prostitutionspark auf der unattraktiven Rückseite des Zürcher Hauptbahnhofs ist gründlich geregelt. Dennoch sind Zürichs Stadtväter sich nicht sicher, dass die umstrittene, mit Steuergeldern errichtete Anlage von Sexarbeiterinnen und Freiern wirklich angenommen wird.

Am kommenden Montag wird der Strichplatz punkt 19 Uhr eröffnet. Erst nach einigen Monaten werde man sagen können, ob das Experiment geglückt sei, sagte Sozialstadtrat Martin Walser Reportern bei einer Vorbesichtigung. "Es gibt keine Erfolgsgarantie, wir probieren hier etwas aus." Als Hauptgrund geben die Verantwortlichen an, dass die Zustände am Sihlquai - bislang der größte Schweizer Straßenstrich - "einfach nicht mehr haltbar" seien. Unweit der malerischen Altstadt am Ufer des Flusses Sihl gelegen, gab es auf Zürichs sündiger Meile oft Zoff. Nicht zuletzt, weil Prostituierte von Gaffern belästigt wurden. Zudem war es vielen ein Dorn im Auge, dass der Strich an attraktiver Uferlage nicht nur Anwohner ärgerte, sondern auch Investoren abschreckte. Zeitgleich mit dem Start der Sexanlage auf der Schattenseite der Bahnhofsgleise tritt ein neuer Strichplan in Kraft. Danach soll Straßenprostitution in der Wirtschaftsmetropole nur noch in der neuen Anlage sowie auf einem Auto- und einem Fußgängerstrich zugelassen werden, die schon länger existieren.

Als Vorbild für den Strichplatz diente unter anderem eine ähnliche Einrichtung in Köln. Die Funktionsweise erinnert an das Rundkurs-Prinzip von "Drive In"-Imbissrestaurants: Der Kunde bleibt im Auto, kurbelt die Scheibe herunter, äußert Wünsche und bekommt einen Preis zu hören. Für den Akt stehen dann zehn sogenannte Verrichtungsboxen zur Verfügung.

Vor neugierigen Blicken durch hohe Bretterwände geschützt, sollen von 19 bis 5 Uhr gleichzeitig bis zu 40 Prostituierte auf dem 220-Meter-Rundkurs in der Mitte des Strichplatzes für sich werben können. Ursula Kocher, Leiterin der Frauenhilfsorganisation Flora Dora, lobt den Strichplatz vor allem wegen der besseren Sicherheit für die Prostituierten. Die Sexboxen seien eigens so angelegt, dass auf der Beifahrerseite immer ausreichend Platz zum fluchtartigen Aussteigen bleibe. Jederzeit könnten die Frauen einen Alarmknopf erreichen.

"Dann geht ein Lichtsignal und ein Flutlicht in der Box an", sagte Kocher der Zeitung "20 Minuten". "Wir können sofort intervenieren, schnell ist auch die Polizei da." Zudem biete ein Flora-Dora-Pavillon eine Dusche und WCs, einmal pro Woche biete eine Ärztin Beratung an.

Ob das viele Prostituierte überzeugt, wird von Sozialarbeitern mit Spannung erwartet. Manche fürchten, dass Zuhälter, die zum Strichplatz keinen Zutritt haben, Frauen zum "Anschaffen" auf den noch verbliebenen oder auf illegalen Straßenstrichs nötigen werden.

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Auf einen BlickFür Saarbrücken sind Verrichtungsboxen wie in Zürich keine Option, sagt Verwaltungsdezernent Jürgen Wohlfahrt. Man fürchte, dass Prostitution an den jeweiligen Plätzen sonst zunehmen könnte. In anderen Großstädten, etwa in Dortmund, seien Verrichtungscontainer wieder abgebaut worden. Im Projekt "le trottoir", getragen vom Drogenhilfezentrum in der Brauerstraße, betreuen Sozialarbeiterinnen drogenabhängige Prostituierte in Containern an der Dudweiler Straße. In Köln gibt es seit 2001 Verrichtungsboxen, die vor allem von drogenabhängigen Sex-Arbeiterinnen genutzt werden. Ziel sei gewesen, die zunehmende Drogenprostitution in der Innenstadt einzudämmen. Das habe man erreicht, so das Kölner Ordnungsamt auf Anfrage. jow

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