Neue Anhörung Was wird aus dem kleinen Baby Charlie?

London · Die prominente Unterstützung durch US-Präsident Donald Trump und Papst Franziskus machten den Fall international bekannt. Wegen neuer Expertengutachten rollt der britische High Court den Fall neu auf.

 Die Eltern von Charlie Gard, Connie Yates (rechts) und Chris Gard (links), geben das Leben ihres schwerkranken Sohnes nicht auf. In London wurden sie von dutzenden Demonstranten unterstützt.

Die Eltern von Charlie Gard, Connie Yates (rechts) und Chris Gard (links), geben das Leben ihres schwerkranken Sohnes nicht auf. In London wurden sie von dutzenden Demonstranten unterstützt.

Foto: dpa/Dominic Lipinski

Aus der winzigen Nase ragt ein Schlauch, der zu verschiedenen Geräten führt und mit einem Pflaster an der Wange festgeklebt ist. Er bedeckt den Großteil des Gesichts des Babys, das reglos im kleinen Krankenbett liegt. Auf einem Foto trägt Charlie Gard einen Strampler, darauf steht „Mamas kleiner Junge“ geschrieben. Seine Lunge funktioniert nicht selbstständig, weshalb er durch eine Maschine künstlich beatmet wird. Auch Nahrung erhält er durch einen Schlauch. Ohne Hilfe kann er Arme und Beine nicht bewegen, kann nicht schreien, lächeln oder weinen. Sein Gehirn ist stark beschädigt und dennoch, seine Eltern Chris Gard und Connie Yate wehren sich mit allen Mitteln dagegen, ihr todkrankes Baby sterben zu lassen. Es ist die schiere Verzweiflung, die das britische Paar nicht aufgeben lässt.

Der elf Monate alte Junge leidet an mitochondrialer Myopathie, einer seltenen genetischen Krankheit deren Heilung laut Experten und Medizinern, die Charlie begleitet haben, ausgeschlossen ist und die unterschiedliche Organe betreffen kann.

Über Wochen hatten die Ärzte am Londoner Krankenhaus Great Ormond Street alles versucht, um den Zustand des Babys zu verbessern – ohne Erfolg. Um das Leiden nicht zu verlängern und Charlie in Würde gehen zu lassen, hatten sie beantragt, die lebenserhaltenden Geräte abzuschalten. Die Eltern wollten das nicht akzeptieren. Und verloren auf allen Instanzen: Mehrere Gerichte auf der Insel fällten ein Urteil im Sinne der Ärzte. Je länger man Charlie künstlich am Leben erhalte, desto „mehr Schmerz, Leid und Elend“ erwarte ihn, hieß es.

Charlies Eltern klammerten sich dennoch weiter an jede Hoffnung, das Leben ihres Sohnes zu retten. So sammelten sie mit Hilfe einer Kampagne umgerechnet rund 1,5 Millionen Euro an Spenden, um eine experimentelle Behandlung in den USA möglich zu machen. Viele Experten bezeichnen die jedoch als fragwürdig. Die Behandlung wurde bislang nicht an Menschen getestet und selbst wenn sie anschlagen sollte, würde das keine Heilung bedeuten, sondern Charlies Leben unter Umständen etwas verlängern. Ende Juni stellte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hinter die Entscheidung der britischen Justiz, weil es keine realistische Heilungschance gebe. Alle Hoffnung schien verloren.

Doch dann kommt wieder Bewegung in den Fall. Papst Franziskus lässt mitteilen, er bete für die Eltern und hoffe, dass ihr Wunsch, Charlie zu begleiten, nicht missachtet werde. Auch US-Präsident Donald Trump äußert sich auf Twitter: „Wenn wir dem kleinen Charlie Gard helfen können, (...) würden wir uns sehr freuen, das zu tun.“ Unklar bleibt, wie die Hilfe aussehen könnte. Aber der Fall des elf Monate alten Jungen wird noch einmal neu aufgerollt. Gestern hat es eine neue Anhörung vor dem britischen High Court geben. Charlies Mutter ist sich sicher, dass erst die öffentliche Aufmerksamkeit die erneute Anhörung ermöglicht hat. Neue Expertengutachten, die sich auf bisher unveröffentlichte Studienergebnisse stützen, geben Charlie, seiner Mutter zufolge, eine zehnprozentige Chance auf einen Behandlungserfolg. Richter Nicholas Francis forderte Charlies Eltern auf, alle Belege vorzulegen, die sie für eine möglicherweise erfolgreiche Behandlung ihres Sohns haben. Dann vertagte er die Anhörung auf Donnerstag. „Ich hoffe, dass mein Sohn diese Chance erhalten wird“, sagte die Mutter gestern: „Er hat nichts zu verlieren.“

Der Kinderarzt und Forscher über angeborene Entwicklungsstörungen des Nervensystems, Markus Schülke von der Berliner Charité, ist mit Blick auf die Lebenserwartung von erkrankten Kindern wie Charlie wenig optimistisch. „Das Problem ist: Wenn erst einmal eine Schädigung des Gehirns eingetreten ist, ist es extrem unwahrscheinlich, dass es sich erholt“, sagte Schülke. Das gelte auch im ebenfalls unwahrscheinlichen Fall einer erfolgreichen experimentellen Therapie.

Hätte Charlie vielleicht ein früherer Therapiebeginn helfen können? Schülke ist skeptisch. Wie er erklärt, können Ärzte bei Patienten wie dem kleinen Jungen bislang nur versuchen, die Symptome zu mildern – die Krankheit an der Wurzel packen, dem Gen-Defekt, können sie bislang nicht. Charlies Eltern hoffen trotzdem auf ein Wunder.

((Sz/dpa/afp))
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