Von Steuern und Lust und von Doppelmoral

Saarbrücken · Was hat die Sexualmoral der (katholischen) Kirche mit der Steuermoral der Bundesbürger zu tun? Nun, auf den ersten Blick nichts. Bei näherer Betrachtung aber fällt eine verblüffende Parallele auf: Auf beiden Feldern wird geheuchelt; in beiden Bereichen klafft eine große Diskrepanz zwischen den Erwartungen der „Obrigkeit“ und dem Verhalten der „Untertanen“; in beiden Fällen halfen bisher weder Appelle noch Strafandrohungen, um die Sünde auszumerzen.

Sobald es um Geld oder Lust geht, das zeigen die aktuellen Steuerfälle und die "Sex-Umfrage" des Vatikan, werden alle guten Vorsätze vergessen. Warum ist das so?

Möglicherweise ist die Erklärung simpel, schon der Evangelist Matthäus wusste: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Andererseits stellt sich die Frage, ob es die nicht immer nachvollziehbaren Ver- und Gebote sind, welche die immer gleichen Sünden provozieren. Im kirchlichen Bereich etwa ist schwer zu leugnen, dass die Vorschriften zu Verhütung oder vorehelichem Sex antiquiert und lebensfremd sind.

So wie die Amtskirche in der Sexualmoral, so blendet die Staatsgewalt in der Steuermoral die Realitäten gerne aus. Bislang hat sich noch kein Parlament ernsthaft mit der Frage befasst, warum so viele Bürger das Schummeln bei der Steuererklärung als Kavaliersdelikt betrachten. Weil sie etwa nicht sich selbst, sondern den Staat als gierig empfinden? Fehlt den Menschen deshalb das Unrechtsbewusstsein?

Nun, ein Erklärungsansatz ist, dass beide Themen mit Tabus behaftet sind. So versucht zum Beispiel die Kirche seit Jahrhunderten, den Menschen Angst einzujagen. Die Normalität der Sexualität sollte so unterdrückt werden. Auf weltlichem Gebiet hat der Staat das Steuergeheimnis erfunden, um "die Bereitschaft zur Offenlegung steuerlicher Sachverhalte zu fördern . . . und eine gleichmäßige Besteuerung sicherzustellen". Leider sind beide Versuche, der Kirche und des Staates, ziemlich misslungen. Im religiösen Bereich, weil sich die Gläubigen nicht mehr einschüchtern lassen; im weltlichen Bereich, weil der Staat das Prinzip der Steuergerechtigkeit selbst krass missachtet. Ein kleines Beispiel ist die kalte Progression. Ein großes Beispiel ist das internationale Steuergefälle, das auf teuren Gipfeltreffen (auf Steuerzahlers Kosten) stets ignoriert wird, während sich Spekulanten weltweit auf die Schenkel klopfen.

Natürlich ist das alles keine Entschuldigung für noch so prominente Steuersünder, die es in der Regel ja gar nicht nötig haben. Doch scheinbar irrationales Verhalten wird oft begünstigt durch Regeln, bei denen Schlupflöcher und Hintertüren schon eingebaut sind. Die jetzt in der SPD erhobene Forderung nach einer Verschärfung der Gesetze ist aber kontraproduktiv und opportunistisch. Strafmindernde Selbstanzeigen gehören nicht etwa abgeschafft; es sollte eher überlegt werden, ob eine Ausweitung auf andere Straftaten sinnvoll ist. Warum sollte jemand, der sein Gewissen erleichtern und Schaden wieder gutmachen will, dafür nicht belohnt werden?

Übrigens müssen dabei ja nicht unbedingt die gleichen Regeln gelten wie im Kirchenrecht, wo man die Verfehlung schon los wird, wenn man beichten geht. Doch solange die Verletzung des Steuergeheimnisses als Todsünde gilt, während die Steuervermeidung in der Wirtschaft als clevere Glanztat gewürdigt wird, braucht sich niemand über die Doppelmoral der Bürger zu wundern.

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