EU-Erneuerung stockt Berlin lässt die Luft aus Macrons Reform-Ballon

BRÜSSEL Als Emmanuel Macron seine Europa-Visionen präsentierte, erntete er Lob und Anerkennung. Nun liegen die Pläne erst einmal auf Eis. Und daran ist nicht nur die künftige Bundesregierung Schuld. Die Finanzminister der Euro-Zone wussten am Montag auch nicht recht, wie sie den Reformmotor wieder anwerfen sollten.

Peter Altmaier zog eine zufriedenstellende Bilanz. Fünf Mal habe er als kommissarischer Finanzminister an Eurogruppen-Sitzungen teilgenommen, sagte er gestern in Brüssel „Wir haben an allen Debatten aktiv mitgewirkt und unsere Hausaufgaben gemacht.“ Doch daran gibt es erhebliche Zweifel. Bereits am Wochenende war bekannt geworden, dass die amtierende Bundesregierung die Luft aus den hoch fliegenden Reformplänen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron gelassen hatte. Einen gemeinsamen Vorstoß zu den Ideen aus Paris über einen Europäischen Währungsfonds, ein eigenes Budget für die Währungsunion oder gar einen EU-Finanzminister werde es vorerst nicht geben, hieß es. Zuvor müsse die neue Regierung ihre Ämter übernehmen, erst dann könne man sich abstimmen und schließlich reden. Dass die alte und neue Bundeskanzlerin dennoch unmittelbar nach ihrer Wahl am Mittwoch sofort an die Seine reist, gibt zwar Gelegenheit zu einem ersten offiziellen Meinungsaustausch. Bis zum Gipfeltreffen der 28 europäischen Staats- und Regierungschefs Ende kommender Woche reicht die Zeit jedoch nicht, um einen Plan für die EU 2.0 zu erstellen. Der soll nun erst zum Juni-Gipfel fertig werden.

Diese Erklärung dürfte nur die halbe Wahrheit sein. Zum einen hat die Macron-Initiative in Berlin keineswegs Euphorie ausgelöst. Zum anderen wächst der Widerstand anderer Staaten spürbar. In der vergangenen Woche schickten die Finanzminister der Niederlande, Dänemarks, Irlands, Schwedens, Finnlands und der baltischen Staaten einen Brief nach Brüssel. Tenor: Weitere Kompetenz-Verlagerungen nach Brüssel sind nicht gewünscht. „Am Ende müssen wir einen Konsens darüber finden, was wir unbedingt brauchen, nicht darüber, was einige gerne hätten“, heißt es in dem Schreiben. Die Skepsis gegen einen allzu starken deutsch-französischen Motor ist verbreitet.

Den Euro-Finanzministern blieb deshalb jetzt kaum mehr als die ohnehin auf Halde liegenden Vorhaben zur Bankenunion wieder zu beleben, ohne allzu große Fortschritte erreichen zu können. Nach wie vor wehren sich Deutschland und einige wirtschaftsstarke Nationen gegen die Einführung einer gemeinsamen Verantwortung für die Sorgenkinder der EU. Die Bundesrepublik werde „keine Haftung für andere übernehmen, solange diese ihre Risiken nicht erfolgreich ausgeräumt hätten“, bekräftigte Altmaier die von seinem Vorgänger Wolfgang Schäuble seit Jahren propagierte Linie.

Es ist aber auch kein Fehler, dass die Reform der EU und der Währungsunion auf sich warten lassen. Denn  nichts weniger als ein großer Gesamtentwurf ist nötig. Bei dessen Abfassung wird ein deutsch-französische Motor gebraucht. Aus einem Vorauseilen von Berlin und Paris kann jedoch schnell ein Enteilen werden. Die Gefahr, dass sich andere überfordert fühlen und zurückbleiben, bleibt groß. Für die Union kann das zu einem ernsten Problem werden, weil weder der Binnenmarkt noch die Währungsunion noch das Dublin-System oder die Lösung der vielen offenen Sachthemen wirklich lösbar sind, wenn Europa zu einem einzigen Durcheinander von 27 Staaten wird, die auf unterschiedlichem Niveau miteinander verbandelt sind.  Deshalb sollten sich Merkel und Macron Zeit für einen abgewogenen europäischen Umbauplan nehmen, den sie auch mit anderen abstimmen und dabei Platz für jene lassen, die noch nicht so weit sind. Nur dann ist die Gemeinschaft reformfähig.

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