Leitartikel Die Flüchtlingsfrage braucht eine Antwort ohne Extreme

Dass die Flüchtlingsfrage die „Mutter aller Probleme“ sei, wie Horst Seehofer sagt, ist Quatsch. Die Mutter aller Probleme, in Afrika wie in Europa, ist die Unfähigkeit der Menschen, fair, friedlich und frei miteinander zu leben.

Seehofers Mutter aller Probleme: Flüchtlingsfrage braucht Kompromiss
Foto: SZ/Roby Lorenz

Das Thema ist aber Kristallisationspunkt massiver Auseinandersetzungen. Es droht, die politische Balance zum Kippen zu bringen. Der einstige Grünen-Gründer Ludger Volmer hat kürzlich eine Bemerkung gemacht, die einen Weg zur Beruhigung weisen könnte. Man dürfe, sagte er, weder die Position vertreten, Europa total abzuschotten und das Asylrecht abzuschaffen, noch die Position, dass alle kommen könnten. Der Satz erscheint banal, doch ernst genommen öffnet er eine Perspektive. Weil er nämlich die Extrempositionen, die einer Lösung im Wege stehen, aus der Debatte herausnimmt.

Zum einen die der AfD, aber auch die der Anhänger Viktor Orbans, bis hin zu Seehofer. Alle, die glauben, man könne die Zuwanderung nachhaltig mit Zäunen stoppen. Und das, ohne den Charakter Europas zu verändern. Verfolgten Menschen Schutz zu geben, sei es vor Krieg, Rassismus oder Diktaturen, ist urchristliches Anliegen und humanitärer Grundsatz. Das muss bleiben. Und bleiben muss auch eine Möglichkeit zur Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen. Schon um den Druck aus dem afrikanischen Kessel zu nehmen. Aber auch aus innerer Notwendigkeit. Gesellschaften ersticken an sich selbst, wenn sie keinen Austausch mit der Außenwelt mehr haben.

Aber auch Teile von Grünen und Linken stünden dann außerhalb der Debatte. Alle, die blauäugig so tun, als gebe es keine Probleme. Weder Asyl noch Wirtschaftszuwanderung dürfen unkontrolliert geschehen. Zumal das Asylrecht vielfach missbraucht wird. Kein Vorwurf gegen die Antragsteller, wohl aber gegen die Strukturen, die sie auf diesen Weg verweisen. Ungesteuerte Zuwanderung überfordert. Nicht die Rechten, die überfordert sein wollen. Nicht die Linken in ihren Szenevierteln. Aber die Gesellschaft insgesamt.

Wenn diese Extreme ausgeschlossen werden, lässt sich bei etwas gutem Willen in Deutschland ein gemeinsames Konzept formulieren, das als realistische Zielvorstellung taugt und mittelfristig in Europa umsetzbar ist. Viele Elemente davon gibt es bereits. Hilfe für die Herkunftsstaaten, damit sich weniger auf den Weg machen. Ein geregelter, nicht kleiner, aber auch nicht übergroßer Einwanderungskorridor für ganz Europa, mindestens für die aufnahmebereiten Länder. Vielleicht im Umfang von 0,1 Prozent der Bevölkerung, also maximal 500 000 pro Jahr. Asylzentren außerhalb europäischen Bodens und Rückführung von Mittelmeerflüchtlingen dorthin. Größere Integrationsanstrengungen. Und aktive Bekämpfung von Rassismus.

Notwendig für eine Beruhigung wäre ein öffentlicher Verständigungsprozess, der zeigt, dass die gutwilligen Parteien zu einer solchen Lösung bereit sind und aufhören, das Thema zu instrumentalisieren. Und es bräuchte jemanden, der diesen Prozess moderiert. Vielleicht der Bundespräsident?

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