Leitartikel Beim mobilen Arbeiten liegt noch viel Potenzial brach

Die Welt der Arbeit wird zunehmend digital. Aber das Arbeiten selbst funktioniert viel zu häufig noch analog. Nach einer kürzlich veröffentlichten Umfrage geht knapp die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland davon aus, dass neue Technologien ihren Beruf in naher Zukunft erheblich verändern werden.

Homeoffice: Beim mobilen Arbeiten liegt noch viel Potenzial brach
Foto: SZ/Robby Lorenz

Auf der anderen Seite hält das Arbeitszeitmanagement damit nicht Schritt. In vielen Unternehmen ist der gute alte Sieben- oder Acht-Stunden-Tag auch weiterhin die Regel. Anwesenheit ist immer noch Pflicht, als sei man noch mitten im guten alten Industriezeitalter, in der die Werkhalle mit ihren Maschinen auch keine Alternative zuließ.

Doch wenn es wirklich so ist, dass mittlerweile 40 Prozent der Beschäftigten per Internet von zu Hause aus arbeiten könnten, aber gerade einmal jeder achte Beschäftigte davon in seiner Firma Gebrauch machen darf, dann liegt hier noch viel innovatives Potenzial brach. Denn das zeitlich und räumlich flexible Arbeiten empfinden nicht wenige Beschäftigte auch als eine Steigerung ihrer eigenen Lebensqualität und als kreative Bereicherung.

Vor diesem Hintergrund ist es sehr zu begrüßen, wenn sich eine traditionelle Arbeiterpartei wie die SPD nun verstärkt darum kümmern will. Mit einem „Recht auf mobiles Arbeiten“, wie es jetzt in einem neuen Strategiepapier der Partei steht, ist es allerdings nicht getan. Man erinnere sich nur an das gesetzlich verbriefte Recht auf einen Kitaplatz. Das klingt sehr verlockend, nur: Wenn Kitaplätze fehlen, wird es auch mit dem Recht darauf schwierig. Und wahr ist ja auch, dass es zuallererst die Betriebe sind, die für mobiles Arbeiten sorgen können, ja müssen. Dafür braucht es allerdings feste Regeln. Gibt es doch genügend Untersuchungen, die belegen, dass die ständige Erreichbarkeit und Verfügbarkeit eines Arbeitnehmers auch zu einer höheren Arbeitsbelastung, kurzum, zu mehr Stress führt.

An dieser Stelle kann sich die SPD tatsächlich einige Sporen verdienen. Die Welt der Abgehängten besteht eben nicht nur aus armen Rentnern oder Langzeitarbeitslosen, sondern auch aus einem digitalen Prekariat. Darum hat sich bislang noch keine Partei wirklich geschert. Hier lassen sich auch neue Wählerpotenziale erschließen, die die SPD dringend braucht, will sie nicht eines Tages ganz in der Versenkung verschwinden. Die klassische Industriearbeiterschaft, einst eine sichere Bank für die SPD, wird es jedenfalls nicht mehr richten.

Das Problem ist also erkannt. Nur mit den Lösungsideen hapert es noch. Im schon erwähnten Strategiepapier der Partei dominieren eher allgemeine Absichtserklärungen. Man werde die Beschäftigten vor einer überbordenden Inanspruchnahme „schützen“, heißt es da zum Beispiel. Aber das „Wie“ bleibt ungeklärt.

Erst wenn die Genossen hier praktikable Antworten finden, werden sie auch den gesellschaftlichen Diskurs über dieses wichtige Thema bestimmen – und damit wieder an politischer Reputation gewinnen.

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