Ganz Jordanien sinnt auf Rache

Amman · Tausende Menschen schwenkten Fotos ihres Königs, des ermordeten Kampfpiloten Maas al-Kassasbeh und die jordanische Flagge, als Abdullah II gestern aus den USA in sein aufgewühltes Königreich heimkehrte.

Diese Demonstration der Solidarität mit dem haschemitischen Köngshaus muss dem Monarchen hoch willkommen sein in der wohl schwersten Stunde seiner Herrschaft über das kleine, bitterarme Königreich. Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die an seinen Grenzen wütet, stürzt das Land in tiefe Existenzängste.

Die barbarische Verbrennung des 26-jährigen al-Kassasbeh, den im Dezember vom IS gefangen genommen wurde, versetzte die Jordanier in einen Schockzustand. "Sie (die IS-Terroristen) haben unsere Herzen verbrannt, so lasst uns ihre Höhlen anzünden und ihre Gefangenen in unseren Haftanstalten", heißt es auf einem der zahlreichen Plakate der Demonstranten. Das grausige Schicksal des Piloten hat die Bevölkerung in der Entschlossenheit geeint, die grausige Bluttat zu rächen. Die rasche Exekution von drei islamistischen Terroristen, die von jordanischen Gerichten verurteilt worden waren, kann den Zorn vieler nicht beschwichtigen. Der Vater des Piloten, ein einflussreiches Mitglied des mächtigen Barascheh-Stammes, fordert die "totale Vernichtung" der IS-Terroristen. Die Barascheh bilden gemeinsam mit den anderen Beduinenstämmen Jordaniens den wichtigsten Pfeiler der haschemitischen Herrschaft.

König Abdullah steht nun vor schicksalhaften Entscheidungen. Die Finanzhilfe von umgerechnet 2,6 Milliarden Euro in den nächsten drei Jahren, die US-Präsident Barack Obama vor dem Abflug des Königs zusagte, ist da nur ein kleines Trostpflaster. Denn in den Augen vieler Bürger hat Washington bewiesen, dass es gefangene Kämpfer der Allianz und andere westliche Geiseln nicht aus den Händen der Mörder zu retten vermag. Ob die allgemeine Stimmung der Kampfbereitschaft gegen den IS nur dem momentanen Zorn entspringt, lässt sich noch nicht absehen. Denn bis zur Veröffentlichung des Videos, das al-Kassasbehs Verbrennung bei lebendigem Leibe zeigt, war die gemäßigt muslimische Bevölkerung Jordaniens tief gespalten. Viele Angehörige der Stämme argumentierten, Jordanien müsse sich aus Konflikten jenseits seiner Grenzen heraushalten. Erst vor knapp zwei Wochen versuchte Abdullah, Stammesführer für seine Politik zu gewinnen. Es gehe um einen Krieg innerhalb der islamischen Welt, betonte er: "Es ist unser Krieg."

Der Monarch hat mit der traditionellen Zurückhaltung seines hoch geachteten Vaters bei internationalem militärischem Engagement gebrochen und sich mutig zur aktiven Unterstützung der Allianz gegen den IS entschlossen. Den USA gestattete er, auf seinem Territorium die wichtigste Operationsbasis gegen die Islamisten zu errichten. Doch nach einer Umfrage vor wenigen Wochen unterstützt nur etwas mehr als die Hälfte der Jordanier diesen Kurs, 30 Prozent sind strikt dagegen. Mit der Affäre al-Kassasbeh versuchte der IS, einen noch dickeren Keil in die jordanische Gesellschaft zu treiben und das Königreich zu destabilisieren.

Militärische Optionen bis zum Einsatz der hoch trainierten jordanischen Bodentruppen in Syrien zählen zu den Entscheidungen, die König Abdullah nun abwägen muss. Dies würde zwar eine gefährliche neue Front gegen den IS eröffnen. Zugleich würde das Königreich aber auch vollends hineingezogen in einen Krieg mit unwägbarem Ausgang.

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