Der Stachel piekt wieder

Meinung · Totgesagte leben länger. Wie oft ist dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac in den zehn Jahren seiner Existenz bereits der Untergang vorausgesagt worden. Jetzt meldet sich das Bündnis eindrucksvoll zurück. Knapp eine Woche haben sich bis gestern über 800 Attac-Mitglieder aus 28 Ländern auf dem Campus der Saar-Uni zur strategischen Neuausrichtung getroffen

Totgesagte leben länger. Wie oft ist dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac in den zehn Jahren seiner Existenz bereits der Untergang vorausgesagt worden. Jetzt meldet sich das Bündnis eindrucksvoll zurück. Knapp eine Woche haben sich bis gestern über 800 Attac-Mitglieder aus 28 Ländern auf dem Campus der Saar-Uni zur strategischen Neuausrichtung getroffen. Ein Zeitpunkt, der besser nicht hätte gewählt werden können. Zwar sind die Warnungen vor einem Ende des materiellen Wachstums und zunehmender globaler Ungerechtigkeit bereits seit Jahrzehnten allgegenwärtig. Doch aktuelle Phänomene wie die Berg- und Talfahrt des Ölpreises oder der Klimawandel haben vielen Menschen die Dringlichkeit einer sozialeren und ökologischeren Wirtschaftsweise bewusster gemacht denn je zuvor. Diese Entwicklungen sind Wasser auf die Mühlen der Globalisierungskritiker. Die nun jedoch zeigen müssen, dass ihre Vision einer "anderen Welt" realisierbar ist. Dabei reicht der simple Hinweis auf den Unterschied zwischen "guter" politisch-kultureller und "schlechter" ökonomischer Globalisierung nicht mehr aus. Es ist Zeit für Attac, die radikale Protest-Attitüde, die das Bündnis bei der Gründung 1998 zusammenschweißte, abzulegen und klarzustellen, dass Kapitalismuskritik nichts mit stumpfem Anti-Kapitalismus zu tun hat. Saarbrücken könnte dabei einen bedeutenden Wendepunkt darstellen. Die hier ausgearbeiteten "10 Prinzipien für einen demokratischen EU-Vertrag" deuten mit konkreten Vorschlägen wie einer direkt gewählten EU-Versammlung bereits eine neue, politisch-konstruktiv ausgerichtete Strategie an. Auch könnte das internationale Treffen zum Symbol dafür werden, dass humane Interessen nicht vor Ländergrenzen Halt machen. In jedem Fall aber wurde deutlich, dass Attac längst eine Organisation ernsthafter Denker ist und mit chaotischen Steinewerfern nichts mehr zu tun hat. Wie es mit Attac weitergeht, hängt nun vor allem vom Kooperations-Willen der nationalen Sektionen ab. Mit über 90 Dolmetschern und Gesamtkosten von 200000 Euro war Saarbrücken in dieser Hinsicht ein vielversprechender erster Schritt. Solange die drängenden Fragen der Globalisierung nicht beantwortet sind, wird auch die Kritik an ihr nicht verstummen. Dies muss freilich nicht bedeuten, dass gerade Attac mit seinen Vorschlägen - etwa zur Besteuerung von Devisentransaktionen - passende Antworten auf die neuen Herausforderungen gefunden hat. Eines ist das Bündnis aber in jedem Fall: ein Stachel für die Politik. Einer, der bald europaweit wirken könnte.

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