Lebendig und punktgenau

Saarbrücken · Die Sinfonie Nr. 2 „Auferstehung“ von Gustav Mahler erlebte das Publikum am Freitagabend im voll besetzten Saarbrücker E-Werk. Das Orchester zeigte bei der schwer umsetzbaren Partitur vollen Einsatz.

 Spitzendirigent Mariss Jansons.

Spitzendirigent Mariss Jansons.

Foto: Philharmonie Luxemburg

Gegensätzlicher könnten die Teile nicht sein, die Mahler zu seiner 2. Sinfonie mit dem Untertitel "Auferstehung" zusammenzwang. Sie reichen vom überdimensionalen Trauermarsch bis zum idyllischen Ländler, vom Spott über die nutzlose Predigt des Antonius an die Fische bis zum kindlich-frommen "Urlicht". Und dann "wild herausfahrend" ein fünfter Satz, das Finale, selbst wiederum aus widersprüchlichsten Teilen zusammengefügt und allein so lang wie manche ganze Beethoven-Sinfonie, laut Mahler eine Schilderung des Jüngsten Gerichts. Auferstehung? Ja, aber im Feuerschein der Apokalypse. Siehe Adorno: "Schaudernd macht Mahlers Musik selber sich zum Schauplatz kollektiver Energien".

Die Aufführung dieser Über-Sinfonie setzt viel voraus, nicht nur eine riesige Ausweitung des Orchesters. Schon manche Anmerkung des Komponisten in der Partitur ist schwer umzusetzen. Soll es hier klingen wie "der Anblick entfernter Paare, die man zwar tanzen sieht, aber die dazugehörige Musik nicht hören" kann, fordert er dort "Hörner in möglichst großer Zahl sehr stark geblasen und in weiter Entfernung aufgestellt." Dann wieder: "Der Autor denkt sich hier, ungefähr, vereinzelt vom Wind herüber getragene Klänge einer kaum vernehmbaren Musik". Musikfestspiel-Leiter Robert Leonardy war es gelungen, hierfür das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks zu gewinnen, das dank seiner großzügigen Tarifpolitik systematisch die Besten jedes Nachwuchs-Jahrgangs hinzugewinnt und das Ensemble durch Spitzendirigenten formen und fordern lässt. Dazu stand Mariss Jansons am Pult, einer der meistbegehrten Dirigenten Europas. Eine einstündige Probe genügte ihm, sich mit den ungewohnten Verhältnissen dieses Raumes vertraut zu machen. Punktgenau griff er nur das Nötigste heraus, vor allem, um die Fernorchester mit dem Tutti zu synchronisieren - "für Sie dirigiere ich mit der linken Hand etwas schneller als mit der anderen". Die Aufführung dann im voll besetzten Saal wurde zum Fest und konnte das Mahler-Bild vertiefen.

Die vielen in der Partitur vorgeschriebenen nervösen Temporückungen beispielsweise ließen, so dirigiert, die Musik wie einen lebendig atmenden Organismus wirken. Auch an diesem Abend wurde deutlich, dass dieses Orchester inzwischen auf einer Ebene mit der Konkurrenz in Wien, Berlin und Amsterdam steht. Imponierend schon die Disziplin, mit der die Musiker ungeachtet der Hitze im Saal konzentriert und mit vollem Einsatz zeigten, was ein Spitzenorchester ausmacht: eine Erste-Geigen-Gruppe mit absolut homogenem Klang, Bratschen mit fast solistischem Ehrgeiz und eine Cello-Bass-Einheit, die schon die erste dramatische Attacke ebenso stürmisch wie präzise anging. Qualitäten, die sich in den Bläsern fortsetzten und noch im Schlagzeug hörbar wurden. Dass am Ende des 1. Satzes die Hitze den C-Dur-Dreiklang der Trompeten in die Höhe trieb, und dass die ungewohnte Bühne im Scherzo zu Wacklern führte, nahm man fast erleichtert zur Kenntnis: Selbst in diesem Eliteorchester sitzen nur Menschen.

Mit suggestiver Ruhe und herrlich dunklem Timbre sang die Altistin Gerhild Romberger das "Urlicht", ehe Genia Kühmeier ihren leuchtendem Sopran hinzufügte und die beiden Chöre des BR und des WDR ihre Meisterschaft demonstrierten, klar im Text und mit zauberhaftem Klang vom extremen Pianissimo-Hauch bis zum strahlenden Fortissimo: "Sterben werd' ich, um zu leben!" Stehende Ovationen.

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