Zum Tode von Johnny Hallyday Frankreichs „große Schnauze“ schweigt

Saarbrücken · In Frankreich war Johnny Hallyday ein Star ohnegleichen, der Hallen und Stadien füllte. Im Rest der Welt blieb der Sänger, der jetzt mit 74 Jahren gestorben ist, fast unbekannt.  

 Der 74-jährige Johnny Hallyday starb an den Folgen einer Krebserkrankung.

Der 74-jährige Johnny Hallyday starb an den Folgen einer Krebserkrankung.

Foto: dpa/Ian Langsdon

Auch Gesichter sprechen. Und seines erzählte zuletzt fast nur noch von den Verwüstungen seines Lebens: Alkohol, Drogen, Frauen, natürlich und immer wieder der Rock ’n’ Roll, dazu seine manische Öffentlichkeitssucht, die jede seiner Affären, selbst seinen Suizidversuch, als seine erste Frau (die Sängerin Sylvie Vartan) 1966 genug von ihm hatte, zwangsläufig zur Titel-Geschichte machte. Und dann der Krebs, der mehrfach nach ihm griff und ihm nun mit 74 Jahren auch das Leben nahm. Johnny Hallyday war sein hochdosiertes Leben tief ins zerfurchte Gesicht geschrieben. Und keine Biografie verstünde das so zu erzählen.

Johnny Hallyday war ein Sänger. Vor allem aber war er ein Phänomen: In Frankreich ein Star ohnegleichen, der Hallen und Stadien füllte. Mehr noch: Im Juni 2000 kam nur wegen ihm weit über eine halbe Million Menschen auf den Champ de Mars zu einem einzigen Konzert am Fuße des Eiffelturms. Alte und Junge, Reiche und Banlieue-Prekariat, Franzosen und Migranten. Vereint von ihm.

Und im Rest der Welt? War Hallyday ein nahezu Unbekannter. Sicher, es gab sie auch, seine eher kläglichen Versuche auch in Deutschland Fuß zu fassen. Wo er auch seinen Militärdienst ableisten musste. Mit „Ja, der Elefant“ etwa in den frühen 60ern. Kurios bestenfalls. Im Grunde aber nicht viel anders als Aznavour mit „Du lässt dich geh’n“. Nur, dass man Aznavour auch hierzulande schätzt, weil er uns vor allem das originär Französische brachte. Hallyday hingegen war derjenige, der den Franzosen das Fremde, das Modern-Begehrenswerte schenkte, den amerikanischen Rock ’n’ Roll-Traum für sie erst übersetzte.

Am 15. Juni 1943 kam Hallyday als Jean-Philippe Smet zur Welt. In Paris, ein Metropolenkind. Musik und Bühne hatte er schon im Blut: Auch der Vater war Sänger, Schauspieler und Tänzer. Viel hatte Jean nicht von ihm. Der Vater ließ Frau und Kind bald sitzen. Der Junge musste bei einer Tante aufwachsen, die mit US-Tänzer Lee Hallyday verheiratet war. So fand Johnny  seinen Namen fürs Rampenlicht.

Wie für viele junge Musiker seiner Generation hieß auch sein Vorbild Elvis Presley. Animalisch, wild tönte diese Musik in den späten 50ern und frühen 60ern. Ein Protest aus dem Bauch heraus, nicht im Kopf geboren. Hallyday machte sie zu seinem Sound, wurde Vorsänger und Aufpeitscher einer Jugend in der zusehends versteinernden De-Gaulle-Republik. Wenn Johnny damals sang, ging immer was zu Bruch. Eines seiner Konzerte in Paris gipfelte 1963 in einer Straßenschlacht: 150 000 prügelten sich rund um die Place de Nation mit der Polizei. Bereits fünf Jahre bevor sich die Studenten in den Hörsälen 1968 zur Revolte aufrafften, hatte Hallyday die Jungen längst auf die Straße gebracht. Auch darum lieben ihn die Franzosen so, verehren ihn wie einen Heiligen. Einen mit ziemlich unheiliger Lebensgier allerdings.

Musikstil auf Musikstil folgte. Hallyday sang Folklore, Soul. Selbst Country schreckte ihn nicht ab. Er zwitterte zwischen im Streicherkitsch suhlenden Bombast-Pop und der notorischen Rockerpose in Lederkluft. Und immer war es die große Bühne, die er suchte und brauchte. Musik musste Show sein. Für unzerstörbare Herzensklagen wie „Que je t’aime“ quälte er seine Stimme, trieb sie ins Pathetische. Und dann dieser Urschrei, „ma gueule“. Immer so, als sei’s das Letzte, was er noch zu singen habe. Und nur er es, mit seiner „Schnauze“, singen kann. Komponiert und geschrieben aber haben fast immer andere. Doch geradezu chamäleonhaft passte sich Hallyday jeglicher Musik an – und blieb dabei doch unverkennbar. Nicht wenige Franzosen würden schwören: „The house of the rising sun“ ist sein – und nur sein Song. Wer denkt da an Eric Burdon oder gar an einen alten amerikanischen Folksong? Fast 200 Tourneen soll er gemacht, über 100 Millionen Tonträger verkauft haben. „In Frankreich ist Hallyday unerreichbar“, musste sogar Mick Jagger zugestehen, als der Gleichaltrige erkannte, dass die Stones zumindest in Frankreich in Hallyday ihren Meister gefunden hatten.

Auch ins Kino drängte es Hallyday. Große drehten mit ihm wie Godard und Claude Lelouch. 2004 war er im Action-Thriller „Die Purpunen Flüsse 2“ mit Jean Reno zu sehen. Finster, kaum noch zu ahnen im Halbdunkel – doch mit leuchtender Präsenz. Selbst wenn keine Filmkamera lief, bot Hallyday Frankreich immer das Spektakel. War Liebling des Jet Sets und lebte mit schnellen Autos, teuren Villen und Yachten den Traum der Massen. Seine Affären sind Legion, seine Ehen zahlreich. Mit Schauspielerin Adeline Blondieau war er sogar zwei Mal – kurz nur – verheiratet. Fast schon zwangsläufig gehörte zur Rolle des Superstars dann wohl auch der Auftritt als Steuerflüchtling. Erst zog es ihn in die Schweiz, dann wollte er gar Belgier werden, schließlich lebte er in Los Angeles. Die Liebe der Franzosen zu ihm blieb dennoch unverbrüchlich. „In jedem von uns steckt etwas von Johnny Hallyday“, sagte Präsident Emmanuel Macron gestern. „Seine Schnauze, seine Stimme“ werde man „nie vergessen“. Eine Nation vereint mit ihrem Star.

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