Kultur contra Krawall?

Rio de Janeiro · Rio de Janeiro ist eine Fußballstadt, am Sonntag wird die deutsche Mannschaft im „Maracana“ um den WM-Titel kämpfen. Jenseits des Stadions ist Rio aber auch eine Kulturmetropole – mit großen Plänen.

 2015 soll das Museu do Amanhã eröffnet werden – hier ein Computer-Modell. Fotos: PR, Baer-Bogenschütz

2015 soll das Museu do Amanhã eröffnet werden – hier ein Computer-Modell. Fotos: PR, Baer-Bogenschütz

 Junges Kulturpublikum vor dem Museu de Arte do Rio.

Junges Kulturpublikum vor dem Museu de Arte do Rio.

"Und hier links wurde das Phänomen geboren", sagt der Guide, während der Bus durch dichten Verkehr vom Flughafen ins Zentrum von Rio hinein stottert. Die Insassen halten die Luft an. Es ist der Armenstadtteil Bento Ribeiro, wo Ronaldo "Fenômeno" aufwuchs. Gerade solche Tristgebiete, sie stehen auch für Tore und Tanz. Immer wenn großer Fußball gespielt wird oder satte Sambaklänge durch die Straßen fegen, wenn in Oscar Niemeyers Paradebau Sambódromo der Pegel der Ausgelassenheit steigt, der Karneval auf großer Flamme brodelt und der Federschmuck auf den Köpfen der Ipanema-Girls mit den kleinen Brandungswellen an den endlosen Stadtstränden um die Wette wippt, dann scheint das Leben in Rio süß, die Seele der Caipirinha-Metropole unverwundbar, Arm und Reich vereint.

Doch die Melodie der Freude wird andauernd erstickt. Befriedungsversuche in den Favelas führen zu mehr Aufständen und Elend. Wenige Wochen vor der Fußball-WM erschütterten brennende Barrikaden, Schusswechsel, Mord und Gewalt die Einwohner Rios, die Cariocas - sogar in zentralen touristischen Zonen: auf den ersten Blick allein auf Strandvergnügen eingestellt. Für die, die von außen schauen, stimmt in Copacana und Ipanema die Welt nicht mehr. Wer hier lebt, weiß, wie er sich bewegen muss. Angstfrei betreibt etwa Laura Marsiaj ihre Kunstgalerie in der Rua Teixeira de Melo, im selben Viertel, wo ein Straßencafé aufs nächste folgt. Gerade stellte der Berliner Clemens Krauss bei Marsiaj aus. Unweit hat auch Oskar Metsavaht seine Läden. Das Label Osklen setzt auf Recycling, verwendet für Segelschuhe und Handtasche Fischschuppen, Michelle Obama trägt eine.

Derweil wird am anderen Ende der WM-Stadt ein komplettes Hafenviertel auf den Kopf gestellt unter Nachhaltigkeitsvorzeichen: ein Riesenthema. Das Konzepot funktioniert, zumindest partiell. Kultur contra Krawall? Rio ist nicht nur Inbegriff großen Elends, sondern baut jetzt auch große Museen. Der Porto Maravilha, der Wunderhafen, erlebt sein blaues Wunder. Nicht freilich zur Freude aller. Unbarmherzig pfeift der Sanierungswind. Das ehrgeizige Stadtumbauprogramm, an Touristen und Investoren adressiert, vertreibt Anwohner, Kleingewerbe, Künstler aus ihrem Kiez. Günstiger Atelierraum verschwindet. Die Gentrifizierungskrake erfasst in der Hafenzone neben den Stadtteilen Gamboa oder Saúde massiv das Mauá-Viertel, wo etwa der Holzbildhauer Osvaldo Luiz Gaia lebt, der um das vertraute Pflaster fürchten muss. Es sind gigantische Infrastrukturprojekte, unpopuläre Entscheidungen und blanke Ohnmacht, die die Menschen zu Protesten auf die Straße treiben. Statt der WM-Stadien wollen sie Spitäler und ein besseres Bildungswesen.

Im Museu de Arte Moderna, Fels in der Brandung des kulturellen Aufbruchs mit Flair der fünfziger Jahre und Anschluss an die Gegenwart, waren nun Müll und Auflehnung Ausstellungsgegenstand - und VW zu Gast. Der Autobauer; der das MoMA fördert, schickte die New Yorker Themenschau Expo1 auf Welttournee auch an den Zuckerhut. Die Teilnehmer verhandeln Nachhaltigkeitsaspekte, modifiziert soll die Bilanz in Berlin zu sehen sein. Eine tolle Sache, blendet man einmal aus, dass VW Brasilien als viertgrößten Autoabsatzmarkt im Visier hat. Weniger Autos aber bedeuteten ökologisch mehr Luft nach oben.

Rund ein Jahr alt ist das Museu de Arte do Rio (MAR): ein lichtdurchfluteter Kulturpalast versiert angedockt an historische Bausubstanz. Man empfängt Schulklassen aus benachteiligten Quartieren. Identitätsstiftende Maßnahmen und nationale Erinnerung sind wichtige Ziele. Einen Ballwurf entfernt baut Santiago Calatrava das Museu do Amanhã ins Wasser. Als klappte eine Riesenmuschel auf, um Menschenströme einzusaugen: So wirkt das Wissenschaftsmuseum des spanischen Stararchitekten aus einer raffinierten fotografischen Perspektive. Im Frühjahr 2015 soll das Gebäude, das auf 15 000 Quadratmetern Zukunftsfragen der Menschheit berührt, am Pier Mauá eröffnen. Als eine Hauptattraktion des 2,65 Milliarden Euro verschlingenden Revitalisierungsprogramms, das die Stadtverwaltung der maroden Hafengegend verordnet hat. Calatravas Entwurf gibt sich interaktiv und nutzt spezielle Photovoltaik- und Hydrauliksysteme - natürlich nach allen Regeln der Nachhaltigkeit.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort