DGB warnt vor neuem Lohndumping-Modell

Berlin. "Leider besitzen zu viele Arbeitgeber eine erstaunliche Kreativität, wenn es darum geht, neue Billiglohnmodelle zu erfinden", klagte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, gestern in einem Interview. Nachdem Leiharbeiter seit Jahresbeginn Anspruch auf einen Mindestlohn haben, suchten sich Betriebe nun "das nächste gesetzliche Schlupfloch"

Berlin. "Leider besitzen zu viele Arbeitgeber eine erstaunliche Kreativität, wenn es darum geht, neue Billiglohnmodelle zu erfinden", klagte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, gestern in einem Interview. Nachdem Leiharbeiter seit Jahresbeginn Anspruch auf einen Mindestlohn haben, suchten sich Betriebe nun "das nächste gesetzliche Schlupfloch". Und das seien Werkverträge und Scheinselbstständigkeit, so Sommer.Werkverträge gehören seit Jahrzehnten zur deutschen Arbeitswelt. Anders als bei der Leiharbeit schließen Unternehmen mit Fremdfirmen dabei keinen Vertrag zur Überlassung von Arbeitskräften, sondern einen Kontrakt über die Erbringung einer Dienstleistung. Dieses im Grundsatz sinnvolle Instrument wird nach einer Untersuchung des DGB zunehmend durch Scheinwerkverträge in Frage gestellt, bei denen es sich um verkappte Leiharbeit zur Einsparung von Lohnkosten handelt.

Als Indiz gilt hier, wenn ein Werkvertragsunternehmen weitgehend in den Arbeitsablauf des Auftraggebers integriert ist. So wurde etwa bei einer Kontrolle der Lebensmitteldiscounter "Kaufland" und "Netto" festgestellt, dass die Lagerarbeit über Werkverträge abgewickelt wurde. Das Werkvertragsunternehmen erstellt also kein "Werk", es stellt nur die Arbeitskräfte zur Verfügung. Laut DGB-Studie ist das Problem besonders im Bereich der Ernährungsindustrie verbreitet. So ist beispielsweise das saarländische Unternehmen Höll durch den massiven Einsatz rumänischer Werkvertragsarbeiter in die Kritik geraten.

Mit 7,8 Prozent aller Beschäftigten sind in dieser Branche inzwischen sogar mehr Werkarbeiter als Leiharbeiter (5,3 Prozent) tätig. In einigen Schlachthöfen liege die Zahl der Werkvertragsbeschäftigten sogar bei 90 Prozent der Gesamtbelegschaft, so der DGB. Nur zehn Prozent seien demnach noch Stammbeschäftigte. Bei der Entlohnung sind Werkvertragsbeschäftigte Arbeiter dritter Klasse. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten fand heraus, dass die durchschnittlichen Stundenlöhne der Stammbeschäftigten um 5,84 Euro höher liegen als bei ihnen. Leiharbeiter kommen noch auf 80 Cent mehr als Werkvertragsarbeiter.

Die IG Metall klagt ebenfalls über negative Auswirkungen. 36 Prozent ihrer Betriebsräte von Unternehmen mit Werkverträgen geben an, dass auf diese Weise Stammarbeitsplätze ersetzt würden. Auch in der Automobilindustrie ist die Quote der Werkvertragsarbeiter mit 5,3 Prozent inzwischen höher als die der Leiharbeiter (4,3 Prozent).

Das Forschungsinstitut IAB geht davon aus, dass im Vorjahr mehr als 600 000 Menschen über Werk- und Dienstverträge beschäftigt waren - fast doppelt so viele wie im Jahr 2002.

Die Bundesregierung hüllt sich zu dem Phänomen bislang in Schweigen. Aus dem Arbeitsministerium hieß es, man plane eine "qualitative Untersuchung" über die Ausgestaltung der Werkverträge.

Meinung

Ein wunder Punkt

Von SZ-RedakteurLothar Warscheid

Der DGB hat mit seiner Studie über Werkverträge einen wunden Punkt gefunden, dessen Bedeutung vielen noch nicht bewusst ist. Werkverträge, die schon lange ein bewährtes Instrument sind, Aufgaben von Dritten erledigen zu lassen, werden offenbar immer häufiger dazu missbraucht, Arbeitnehmer mit Niedriglöhnen abzuspeisen. Missbrauch kann dann vorliegen, wenn das Fremdpersonal so behandelt wird wie die eigenen Leute oder wenn Mitarbeiter der Stammbelegschaft in gemischten Teams mit Werkvertrags-Arbeitnehmern beschäftigt werden. Dennoch darf man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, wenn man über Werkverträge den Stab bricht. Richtig untersucht wurde das Thema bislang noch nicht, wie die Bundesregierung zu Recht anmerkt. Allzuviel Zeit sollte sie sich mit der angekündigten Analyse aber nicht lassen.

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Liebe Leserinnen, liebe Leser, wir freuen uns über Ihre Leserbriefe zur Diskussion von Themen, über die der Pfälzische Merkur berichtet hat. Damit ein möglichst großer Leserkreis zu Wort kommen kann, müssen Zuschriften gekürzt werden. Anonyme oder fingier
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