Familienministerin Franziska Giffey Vom Schmuddelbezirk auf die große Bühne

BERLIN (SZ/afp) „Unsere Kollegen der Direktion 5 krempeln heute #Neukölln um“. Polizei-Tweets wie diesen las man in Berlin öfter, nachdem Franziska Giffey Bürgermeisterin des berüchtigten Stadtbezirks geworden war. Kriminelle arabische Clans, Autoraser, Drogenhandel, wilde Müllentsorgung am Straßenrand – die Bezeichnung Problembezirk ist noch geschmeichelt.

 Giffey gestern nach der Amtsübernahme im Familienministerium.

Giffey gestern nach der Amtsübernahme im Familienministerium.

Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Franziska Giffey ist trotz ihrer erst 39 Jahre für die Bundes-SPD eine ziemlich ideale Antwort auf ziemlich viele Image-Probleme der Partei. Auch als neue Familienministerin. Mit mangelnder Kenntnis der sozialen Wirklichkeit muss man ihr wahrlich nicht kommen. Weil sie gleich zu Beginn ihrer Amtszeit als Bürgermeisterin vor drei Jahren eine Art Null-Toleranz-Politik gegenüber Regelverstößen angekündigt hat, kann sie aber auch jene Wählerschichten ansprechen, die zur AfD abzuwandern drohen.

Dass sie „Müll-Sheriffs“ einführte, kam im Bezirk ebenso gut an wie ihr Rechtsstreit mit einer Referentin, die im Rathaus bei Bürgerkontakten das Kopftuch nicht abnehmen wollte. Giffey ähnelt ihrem Vorgänger und Förderer, dem legendären Heinz Buschkowsky (SPD), der ebenfalls ein Kümmerer und Klartextredner war. Ins Ausländerfeindliche ist sie dabei bisher nie abgerutscht. Im Gegenteil, sie möchte die Integration der Menschen voranbringen und Ghettos verhindern. Sie ist nicht links, nicht rechts, sondern folgt einem gesunden Menschenverstand.

In die engere Wahl als Ministerin wäre sie trotzdem nie gekommen, wenn sie nicht die Gnade der ostdeutschen Abstammung hätte. Geboren in Frankfurt/Oder, aufgewachsen in Fürstenwalde. Zwar lebt sie schon seit 20 Jahren in Berlin. Doch darüber sah die Partei hinweg. Anders übrigens als bei der Berlinerin Eva Högl, die auch in Frage gekommen wäre, aber gebürtige Niedersächsin ist. Ein „echter“ Ostdeutscher musste es sein, das verlangten die Ost-Verbände, das hatte Andrea Nahles versprochen.

Giffey ist verheiratet und hat ein schulpflichtiges Kind. Sie hat mal eine Lehrer-Ausbildung begonnen. Wie sie in einem Interview sagte, hat sie ihre Politikkarriere ihrer manchmal irritierend dünnen Stimme zu verdanken. Der Stimmmuskel war zu schwach, um vor einer Klasse zu bestehen. Deshalb wechselte sie zur Politikwissenschaft. In ihrem ersten Job als Europabeauftragte war es Giffeys Aufgabe, EU-Mittel für Neukölln zu besorgen. Doch sie wollte mehr, studierte Verwaltungsmanagement und promovierte zum Thema Bürgernähe der EU. 2010 wurde sie Bezirksstadträtin für Bildung, Schule, Kultur und Sport. Keine fünf Jahre später folgte sie im Frühjahr 2015 im Amt des Bürgermeisters auf Buschkowsky – als erste Frau im Bezirk mit 323 000 Einwohnern aus mehr als 160 Nationen.

Als ihren Leitspruch zitiert Giffey gern ihren Mentor Buschkowsky: „Die Mutter aller Kommunalpolitik ist die Anschauung vor Ort.“ Die Umsetzung dieses Leitspruchs machte Giffey schnell über die Bezirksgrenzen hinaus bekannt.

Nun ist sie der neue Jungstar der SPD. Bundespolitisch ist sie bisher noch nicht in Erscheinung getreten. In Erinnerung ist manchen ostdeutschen Delegierten des letzten Bundesparteitages in Bonn aber ein Auftritt in einer internen Vorbesprechung. Es ging um Pro oder Contra zu Koalitionsgesprächen mit der Union. Giffey ergriff das Wort und sagte, die SPD müsse mal lernen, über ihre Erfolge zu reden, über das halbvolle Glas Wasser. Nicht immer über das halbleere. Es sei ein ziemlich kluger, fast altkluger Beitrag gewesen, meinte ein Teilnehmer.

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