Analyse Putin muss um die Jugend Russlands buhlen

MOSKAU (dpa) Sie schreien, jubeln, klatschen, singen lauthals mit. Es ist wie ein Popkonzert für einen Star, der aber nicht auf der Showbühne zu Hause ist. Als Russlands Präsident Wladimir Putin bei einer Wahlveranstaltung auftritt, flippt die junge Russin Jelena aus. „Liebst du ihn nicht auch?“, ruft sie. Begeistert hält die 20-Jährige ein Plakat hoch: „Putin ist der Beste“ steht darauf, umrahmt von einem weiß-blau-roten Herz. Mit Tausenden anderen Russen singt Jelena die Nationalhymne, ihr Jubel wirkt echt.

Schüler und Studenten, Teenager und Heranwachsende: Keine Generation hat die Schlagzeilen im vergangenen Jahr so beherrscht wie die russischen Erstwähler. Der Kreml setzt vor dem Wahltag am kommenden Sonntag, 18. März, auf Veranstaltungen mit Konzerten, auch um zu zeigen: Wir kümmern uns um die Jugend. „Putin gibt mir Sicherheit, er macht unser Land stark“, sagt Jelena überschwänglich. Viele junge Russen denken wie die Studentin, die extra aus der Provinz nach Moskau gereist ist.

Doch seit dem vergangenen Jahr hat sich in Russland etwas verändert: Tausende junge Menschen und Anhänger von Kremlkritiker Alexej Nawalny demonstrieren regelmäßig gegen Korruption und für ein Ende des Putin-Systems, das die meisten bereits ihr ganzes Leben begleitet. Viele Erstwähler haben eines mit dem 65-Jährigen gemeinsam: das Jahr 2000. Er kam an die Macht, sie auf die Welt. Und nun dürfen sie das erste Mal über die Zukunft des Landes abstimmen.

„Aufregend und beängstigend“ nennt Michail es, wenn er über die Perspektiven seines Landes sprechen soll. Der 18-Jährige sagt: „Ich will in meinem Land was bewegen, aber nichts geht voran.“ Die Menschen in Russland wollten lediglich Geld machen und ihre Ruhe haben. „Wir halten uns an dieser Stabilität fest und merken nicht, wie uns das lähmt“, sagt der junge Moskauer. Schon zwei Mal folgte der Teenager aus diesem Grund Nawalnys Protest­aufruf. Dabei habe er beobachtet, wie die Polizisten Demonstranten festnahmen und in Busse zerrten. „Genau da wurde mir klar: Echte Demokratie funktioniert nur dort, wo auch Präsidenten Herausforderer haben.“ Deshalb werde er auch nicht zur Wahl gehen und wie viele andere die Abstimmung boykottieren. „Meine Stimme gibt es nur auf der Straße“, sagt Michail.

„Das Problem sind die Politiker: Sie erklären uns die Sinnhaftigkeit der Gesetze nicht, sie repräsentieren uns nicht“, sagt die junge Fotografin Daria (22). Kein Abgeordneter, kein Kandidat nehme die Wünsche und Sorgen junger Russen wirklich ernst. Gute und leistbare Ausbildung sei rar, Job- und Aufstiegschancen für junge Akademiker ebenso. Angst macht ihr auch das marode Gesundheitssystem.

Besonders eine niedrige Wahlbeteiligung könnte der Führung zu schaffen machen. Offiziellen Umfragen zufolge wollen weniger als die Hälfte der rund sieben Millionen Erstwähler am Wahltag ihre Stimme abgeben. Das liege sicherlich nicht am fehlenden Engagement für Politik, sagen Experten.

Zwar verspricht Putin im Wahlkampf vielen vieles, will Millionen in das Sozialsystem investieren, Wohnungsbau fördern, die Regionen entwickeln. Zudem will er die Armut in seiner nächsten Amtszeit mindestens halbieren. Aber macht das der Jugend Mut? „Das ist doch alles Quatsch“, sagt der Mathematiker Juri (23). „Der Kreml will doch gar nicht, dass sich etwas verändert. Dann müssten sie ja auf irgendeine Art und Weise Macht abgeben.“

Wie der junge Wissenschaftler den Wahltag verbringt, ist noch offen. Wählen will er aber: „In Russland gibt es kein Nicht-Wählen. So verschenken wir auch die Hoffnung auf Veränderung.“

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