Karges Land Wo die pelzigen Kletterkünstler leben

Kastilien · Eine Reise durch die spanische Region Kastilien-León führt zu geschichtsträchtigen Orten und in stille Landschaften.

 Die Sierra de Gredos ist eine der ursprünglichsten Gebirgslandschaften Spaniens.

Die Sierra de Gredos ist eine der ursprünglichsten Gebirgslandschaften Spaniens.

Foto: dpa/Manuel Meyer

Schon vor einer ganzen Weile hat die Straße die letzten Häuser von Hoyos del Espino, einem kleinen Ort am Nordrand der Sierra de Gredos, passiert und arbeitet sich nun, kaum berührt von Verkehr, immer weiter in die Einsamkeit des Gebirges vor. Fast unbemerkt ändert sich dabei der Charakter der Landschaft: Wo eben noch Kiefern und Eichen an den Hängen sanfter Hügel wuchsen und Stiere mit pechschwarz glänzendem Fell auf den Weiden standen, füllen jetzt Ginster, Gräser und Heide die Lücken im Granitgestein. Mit jedem Meter bergauf zieht sich die Vegetation mehr und mehr zurück. Bis am Ende nur noch Felsen übrig bleibt, von dichten Flechten pastellig grün gefärbt.

Die Straße endet inmitten dieser Bergkulisse auf einem Parkplatz. Dort steht an diesem frühen Morgen bereits eine Handvoll Autos verwaist und irgendwie verloren. Ihre Insassen haben mit großer Wahrscheinlichkeit die Wanderschuhe geschnürt, den Rucksack geschultert und sich über holprige Pfade aufgemacht, das Zentralmassiv der Sierra de Gredos zu erkunden – eine atemberaubende Landschaft mit Seen, Schluchten und schneebedeckten Gipfeln, in der die scheuen Gredos-Steinböcke zu Hause sind.

Auf diese pelzigen Bergbewohner hatte es auch Alfons XIII., spanischer Regent von 1902 bis 1931, abgesehen, der gern hier in Kastilien zur Jagd ging. Und er war es auch, der keine 20 Kilometer von unserem kleinen Wanderparkplatz entfernt den Ort auswählte, wo im Jahre 1928 – als Rast- bzw. Gasthaus und nebenbei als Rückzugsort für die königlichen Jagdausflüge – der erste Parador auf der iberischen Halbinsel entstand und die Erfolgsgeschichte der staatlichen spanischen Hotelkette gleichen Namens einläutete. Alfons’ rechte Hand, der Marquis de la Vega Inclán, hatte zuvor nämlich von Regierungsseite den Auftrag erhalten, eine neue Hotelstruktur zu begründen, die Spaniens Renommee im Ausland aufpolieren sollte. „Es gab keine guten Hotels in dieser Zeit“, erzählt Alejandro Nedstrom von „Paradores de Turismo de España“. Außerdem habe man so entlegene, wirtschaftlich schwache Regionen beleben wollen.

Was durchaus geglückt ist. Denn im Laufe der Jahre folgten weitere Paradores, deren Zahl inzwischen auf 97 angewachsen ist. Auf fünf der Kanareninseln gibt es einen, und auch in Portugal sowie in den spanischen Exklaven Melilla und Ceuta an der nordafrikanischen Küste. Der große Rest breitet sich wie ein engmaschiges Netz über Festlandspanien aus.

Der Pionier der spanischen Hotelkette, der Parador de Gredos ist ein grauer Granitbau, der ganz im Stil adliger Landhäuser, wie man sie im 60 Kilometer entfernten Ávila sieht, auf dem Bergkamm des Alto del Risquillo errichtet wurde. Wer hier Station macht, sucht die Stille und Nähe zur Natur. Der kommt zum Wandern, Reiten, Sternegucken – oder zum Jagen. So wie Alfons XIII., dessen Porträt einen stattlichen Mann mit ordenüberladener Uniformbrust zeigt und goldgerahmt die Halle schmückt.

Vom Parador de Gredos geht die Reise weiter durch den Nordwesten Zentralspaniens, durch die autonome Gemeinschaft Kastilien-León, die in Sachen Größe mit 94 000 Quadratkilometern sogar das benachbarte Portugal schlägt. Es ist eine Region mit weiten Hochebenen zwischen bizarren Gebirgszügen. Ein trockener Landstrich, in dem im besten Fall Getreide, Hülsenfrüchte und Wein gedeihen und ansonsten Schweine und Rinder unter knorrigen Steineichen auf kargen Böden weiden. Urlauber mit kulturhistorischen Ambitionen besuchen hier Burgos’ eindrucksvolle gotische Kathedrale, erklimmen in Ávila die gewaltige mittelalterliche Wehranlage oder schlendern über den Hauptplatz der Welterbe-Schönheit Salamanca.

Aber auch die weniger spektakulären, vielen eher unbekannten Ziele von Castilla y León lohnen den Besuch. Reizende Orte wie das von Kastanienwäldern umgebene Bergdorf Candelario mit seinen steilen Gassen und weißen Häusern. An dessen Plaza Mayor man gemütlich im Café sitzt und in dem vollgestopften Lädchen gegenüber Schinken, Wurst und Käse kauft. Oder das Städtchen Tordesillas, das neben einem herrschaftlichen Parador inmitten eines üppigen Pinienhains jede Menge Historie bietet.

So steht am Rande seiner Altstadt und hoch über dem Flusslauf des Duero die museal genutzte Casa del Tratado, ein Palast aus dem 15. Jahrhundert, in dem das spanische Königspaar Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón sowie Juan II. von Portugal 1494 per Vertrag die Neue Welt unter sich aufteilten. Ein paar Häuser weiter und ein paar Jahre später wurde Kastiliens verhinderte Königin, Johanna die Wahnsinnige, von Papa Ferdinand und dem eigenen Sohn wohl aus machtpolitischem Kalkül über Jahrzehnte weggesperrt. Sie war die liebestolle und für öffentliche Eifersuchtsdramen berüchtigte Gattin Philipps des Schönen.

Es war übrigens Johannas Urahn Heinrich II. von Trastámara, unehelicher Spross König Alfons’ XI. und begierig auf den Thron, der nicht nur als Brudermörder, sondern auch als Erbauer der mächtigen Burg von Ciudad Rodrigo in die Geschichte einging. Besucher des zauberhaften Ortes spazieren über die zwei Kilometer lange Stadtmauer aus dem Mittelalter und schauen von oben auf das Straßengewirr der komplett eingeschlossenen Altstadt. Sie bewundern neben Kirchen und Adelspalästen das Renaissance-Rathaus an der Plaza Mayor. Der Platz wird immer an Karneval zur Stierkampfarena, in die die Tiere von den Feldern durch die Gassen getrieben werden.

 Madrid in Kastillien

Madrid in Kastillien

Foto: SZ/Müller, Astrid
 Die Plaza de Santa Teresa ist Teil der historischen Altstadt Ávilas, die seit 1985 zum Unesco-Weltkulturerbe gehört.

Die Plaza de Santa Teresa ist Teil der historischen Altstadt Ávilas, die seit 1985 zum Unesco-Weltkulturerbe gehört.

Foto: Turespana/dpa/gms/Turespana

Wer länger bleibt, kann in Heinrichs stolzer Burg, die seit 1372 mit ihren zinnengekrönten Mauern und dem alles überragenden Bergfried wie ein Adlerhorst auf einem Steilhang klebt, Quartier beziehen. Denn seit 1931 beherbergt sie einen Parador mit dicken Teppichen auf glänzenden Steinböden, mit alten Gemälden und Gobelins, Truhen und Ritterrüstungen als Interieur. Ihr Garten bietet Aussicht auf das ruhige Band des Río Águeda, in dem Gräser kleine Inseln bilden.

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