Medizin-Apps sind auf dem Vormarsch

Bonn · Immer mehr Apps für Gesundheit, Fitness und Medizin kommen auf den Markt. Sie können viel: Den Puls messen, Allergiker-Tagebuch führen und an die Pillen erinnern. Doch sie können nicht den Arzt ersetzen.

Die kleinen Berater in Gesundheitsfragen für Smartphones, Tablets und Computeruhren sind ein Megatrend. Die Flut von Angeboten ist kaum überschaubar. Unter drei Millionen Apps gibt es bereits rund 87 000 Angebote für den Bereich Fitness-Wellness und etwa 55 000 medizinische Apps . Das berichtete Hartmut Gehring vom Uniklinikum Schleswig-Holstein bei einer Experten-Tagung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn . Nicht immer ist unterscheidbar, ob die Apps nur Infos bieten, eher zu Lifestyle und Fitness gehören oder ins Medizinische reichen.

Die angebotenen Apps decken eine große Bandbreite ab: Puls- oder Blutzuckermessung, elektronische Tagebuch-Führung etwa bei Migräne oder Asthma, auch für Herz- oder Parkinson-Kranke gibt es Angebote. Für die Patienten seien sie ein guter, sinnvoller Begleiter, betonte der Bundesverband Internetmedizin. Der mündige Verbraucher könne seine Behandlung stärker in Eigenregie und daheim mitsteuern - und entscheide letztlich selbst, ob er zusätzlich einen Arzt aufsuche.

Eine "digitale Revolution in der Gesundheitsbranche" sieht Sandra Hoyer vom Bitkom-Arbeitskreis für Gesundheit. Die Apps können viel. Puls- oder Blutdruckmessen gehört mit dem entsprechenden Zubehör zu den leichten Übungen. Zur Erkennung von Hautkrebs könne der Patient den verdächtigen Fleck auf der Haut mit dem Smartphone ablichten und das Foto zur Auswertung an den Arzt mailen, heißt es. Für chronisch Kranke bieten sie Erinnerungen an Medikamenten-Einnahme, Dokumentation von Nebenwirkungen und die Protokolle zu Blutwerten oder Migräne-Anfällen. Mancher Verbraucher sehe aber wie auch viele Ärzte die Gefahr einer Fehldiagnose, zitiert Experte Wolfgang Lauer aus einer Umfrage.

Für die beiden führenden Smartphone-Plattformen Android von Google und Apple gibt es in den aktuellen Systemversionen jeweils eine zentrale Anlaufstelle zum Thema Gesundheit. Beim iPhone heißt das Apple Health, das Android-Pendant wurde Google Fit genannt. Die Sammeldepots für Medizin- und Fitness-Werte führen Daten aus verschiedenen Programmen und Sensoren zusammen.

Auch in Arztpraxen oder im Klinikalltag werden Apps eingesetzt - quasi für die Kitteltasche. Bei Operationen werden sie etwa zur Steuerung der OP-Roboter eingesetzt. Narkosearzt Gehring berichtet von einer Software, die bei der Dosierung von Medikamenten in der Kinderintensivmedizin hilft. Er selber halte es so: Komme ein Patient mit einer via App gewonnenen fertigen Diagnose zu ihm, glaube er zunächst mal dem "mündigen Patienten", kontrolliere aber doch lieber nach, wenn ihm die Daten nicht plausibel erscheinen.

Eine Medizin-App ist dann als Medizinprodukt zu bewerten und muss entsprechende Standards erfüllen, wenn die Software laut Hersteller "der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten" dient. Das stellt der Essener Medizinrechtler Volker Lücker klar. Er sieht in den Anwendungen den Vorteil, dass Patienten ohne Arzt ihre Gesundheit überprüfen können. Der könne dann die Diagnose stellen. Mit der rasanten Zunahme von Gesundheits- und Medizin-Apps für Smartphones und Tablets rücken neben den Vorteilen auch die Risiken stärker in den Fokus. Es bestehe die Gefahr von Fehldiagnosen - besonders, wenn Verbraucher die Programme zur Diagnostik und Therapie-Einschätzung nutzten. Das sagte der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Karl Broich, bei einer Tagung mit 200 Experten in Bonn . Es müsse vorgebeugt werden, dass sich Patienten nicht am Ende allein auf ihre App verließen, statt Arzt oder Apotheker aufzusuchen.

Die Experten sprachen auch von Datenschutzrisiken. Wenn zunehmend Patientendaten gesammelt, über Netze übertragen und zentral gespeichert würden, müssten auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für diesen schnell wachsenden Markt weiterentwickelt werden.

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