Renaissance der Braunkohle

Berlin · Seit 1990 wurde nicht mehr so viel Braunkohlestrom erzeugt wie heute. Obwohl mit über 20 Milliarden Euro erneuerbare Energien gefördert wurden, steigen im Zuge des Atomausstiegs die CO{-2}-Emissionen.

Peitz-Ost ist ein unscheinbarer kleiner Bahnhof nahe Cottbus. Hinter dem verwitterten roten Backsteinbau lockt eine malerische Sumpf- und Seenlandschaft zum Wandern. Aber die Bahnhofstraße herunter ist es vorbei mit der Idylle. Waggons mit Brennstoff rangieren. Kohlegeruch sticht in der Nase. Aus neun Kühltürmen quellen dichte Dampfwolken.

Umweltschützer brandmarken das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde als einen der größten CO{-2}-Verursacher bei der Kohleverstromung. Der Tagebau lässt die Gegend drumherum wie eine Mondlandschaft aussehen. Mit 3000 Megawatt gilt die Vattenfall-Anlage nach dem RWE-Kraftwerk Neurath als zweitgrößtes Braunkohlekraftwerk in Deutschland.

Mehr als 162 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom wurden 2013 in deutschen Braunkohlekraftwerken erzeugt, hat die AG Energiebilanzen ermittelt. Zuletzt wurde 1990 mit 171 Milliarden kWh mehr Braunkohlestrom erzeugt. Während der Anteil des Atomstroms seit der Fukushima-Wende von 140,6 Milliarden kWh (2010) auf 97 Milliarden gesunken ist, kletterte zwar auch die Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien auf den neuen Spitzenwert von 147,1 Milliarden kWh. Aber der Kollateralschaden des Atomausstiegs ist ein höherer CO{-2}-Ausstoß im zweiten Jahr in Folge. Zumal auch Steinkohlestrom zugelegt hat, 2013 auf über 124 Milliarden kWh. Eine Entwicklung, die ein neues Bild von der umweltfreundlichen Energiewende zeichnet.

Es ist schon paradox. Da sind zum einem die hohen Kosten der Energiewende. Nach 20,3 Milliarden 2013 werden 2014 etwa 23,5 Milliarden Euro Förderkosten für Solaranlagen, Windparks und Biomassekraftwerke über die Strompreise in Deutschland gewälzt. Ein Vier-Personen-Haushalt zahlt etwa 220 Euro Ökostrom-Umlage.

Zum anderen verpufft das klimapolitisch weitgehend, wenn zugleich Braunkohlestrom auf einem Niveau wie zu DDR-Zeiten produziert wird. Zwar wird heute wegen effizienterer Technik weniger Braunkohle eingesetzt, um dieselbe Menge Strom zu erzeugen. Sie hat aber einen niedrigeren Energiegehalt als Steinkohle. Entsprechend viel muss verfeuert werden, um Strom zu gewinnen.

Was ist der Grund für die Renaissance der besonders klimaschädlichen Stromproduktion? Zum einen gingen seit 2012 neue, sehr leistungsstarke Blöcke ans Netz, während alte Anlagen - auch zur Sicherung der Versorgung im Winter - oft in Betrieb bleiben. Zum anderen dümpelt der Preis für CO{-2}-Verschmutzungsrechte im EU-Emissionshandel zwischen drei und fünf Euro statt erhoffter 30 Euro. So ist die Stromgewinnung billig. Und: Der Braunkohletagebau genießt millionenschwere Rabatte bei den Ökostrom-Förderkosten.

Eigentlich sollten CO{-2}-ärmere Gaskraftwerke als Brückentechnologie bei der Energiewende dienen, doch die stehen wegen deutlich höherer Brennstoffkosten oft still. Branchenkenner sehen inzwischen ein florierendes Geschäftsmodell mit deutschem Kohlestrom im Ausland. Denn während in Deutschland Solarstrom gerade mittags häufig die Preise drückt, lässt sich der Kohlestrom anderswo zu dieser Zeit oft für gutes Geld verkaufen. Es überrascht daher nicht, dass 2013 mit über 33 Milliarden Kilowattstunden Strom auch ein neuer Rekord beim Exportüberschuss erzielt worden ist.

Zum Thema:

HintergrundBundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel will trotz des Brüsseler Beihilfeverfahrens möglichst viele Industrie-Rabatte bei der Ökostrom-Förderung erhalten. "Wir müssen in Deutschland sicherstellen, dass die energieintensive Industrie weiterhin von der EEG-Umlage befreit ist", sagte der SPD-Politiker gestern bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel. "Alles andere führt dazu, dass wir Deutschland deindustrialisieren." ing

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