Was passiert, wenn der Deal mit der Türkei platzt?

Der Löwe aus Bayern brüllt nun mal gern. Dafür ist Horst Seehofer bekannt. Und auch dafür, dass er sein Ohr gefühlt stets nahe an den "Wutbürgern" der Nation hat. Kein Wunder also, dass es ausgerechnet der CSU-Chef war, der vor wenigen Tagen seinen Befürchtungen über die Folgen eines geplatzten Flüchtlingsdeals mit der Türkei freien Lauf ließ: "Dann hätten wir ein dickes Problem", polterte er in die Kameras des ZDF . Die Worte waren dabei weniger an die Adresse des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan gerichtet. Vielmehr gingen sie - wie üblich - an die große Koalition. Speziell an die Kanzlerin. Angela Merkel (CDU ) konnte das noch unter der Rubrik "Der Bayer brüllt halt gern" abtun. Auch weil Seehofer beim von EU-Regierungschefs ausgehandelten Pakt keine zentrale Rolle spielt.

Schon allein deshalb fand das gestrige kräftige Flügelschlagen des österreichischen Bundesadlers mehr Ausmerksamkeit in Berlin. Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ ) stellte offen die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, die sich "klar" Richtung "Diktatur" bewegen würde, infrage. Koste es, was es wolle - auch den Flüchtlingsdeal. Und was dann? Drohen durch das Aufkündigen des Deals hierzulande also erneut Flüchtlingsströme wie noch 2015?

Unbestritten ist: Die Türkei riegelt die Flüchtlingsrouten aus Syrien, dem Irak, Afghanistan - und den Maghreb-Staaten nach Deutschland entscheidend ab. Seit dem Deal gehen die Zahlen rapide nach unten. 2015 suchten noch über 1,1 Millionen Menschen Zuflucht in Deutschland. Eine Rekordzahl. Allein im Saarland waren es fast 13 500, was der Einwohnerzahl von Saarwellingen entspricht. Zeitweise wurden bis zu 4000 Flüchtlinge , meistens Syrer, in der nur für 1300 Personen ausgelegten Landesaufnahmestelle in Lebach untergebracht. Aktuell sind es nur noch 694.

Anders als heute trafen die Flüchtlingsströme 2015 die Republik durchaus unvorbereitet. Das zeigt das Beispiel von Klaus Bouillon (CDU ). Der saarländische Innenminister verlegte damals sein Büro mehrere Wochen in einen Container ("eine der wichtigsten Entscheidungen in meinem Leben"). Dort arbeitete er vor Ort an neuen Strukturen für eine schnelle Registrierung der Flüchtlinge , deren Verteilung auf die Kommunen und eine schnellere Integration. Dafür bekam er deutschlandweit Lob. Nicht zuletzt, weil "Teile dieser Republik im Chaos versunken" waren, so Bouillon. In kürzester Zeit entstanden in Lebach ein Dutzend Wohncontainer und winterfeste Zelte, und auf dem alten Bergwerksgelände Hirschbach eine Dependance des Aufnahmelagers mit Platz für 420 Menschen.

Die Container werden derzeit zurückgebaut, dafür aber ein Ersatzgebäude errichtet. Zudem bleibt Hirschbach im "Stand-by-Modus. "Wir sind gerüstet", heißt es immer wieder von Seiten des Ministeriums. Zudem wurden andernorts im Saarland und in Deutschland funktionierende Strukturen - nach der Erstaufnahme - geschaffen, die bis heute bestehen. Auch bei der Verteilung der Kosten zwischen Kommunen, Land und Bund müsste nicht mehr von Grund auf verhandelt werden, sagen Finanzexperten.

Die Flüchtlingskrise war auch die Stunde tausender freiwilliger Helfer. Bundesweit. "Die Hilfsbereitschaft der Menschen war gigantisch", schwärmt Anton Verschaeren, Geschäftsführer des saarländischen Roten Kreuzes. Über 1500 Saarländer hätten allein in der Landesaufnahmestelle den Flüchtlingen ehrenamtlich geholfen, "weil sie die Not der Menschen gesehen haben". Ohne ihre Hilfe , so Verschaeren, hätte es nicht funktionieren können. Er ist sich zudem sicher: Sollte es zu einem Bruch mit Ankara kommen, wären die Menschen wieder bereit, Flüchtlingen zu helfen. Das geht auch aus einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung hervor. Auch die Gewalttaten in den vergangenen Monaten wie die Übergriffe von Köln hätten ihren Enthusiasmus nicht gebremst, sagen die Forscher.

Das Brüllen des bayerischen Löwen werden auch sie so nicht auch verstummen lassen. Bald ist Bundestagswahlkampf - und das ist selten die Zeit ruhiger Töne - nicht nur bei Horst Seehofer .

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