Ein bisschen Verzicht

Essen · Petra Hinz zieht sich zurück – zumindest ein bisschen. Nach ihrer Lebenslauf-Lüge gibt die SPD-Bundestagsabgeordnete ihre Parteiämter zurück. Im Bundestag bleibt sie zunächst, sehr zum Ärger ihrer Genossen.

 Bundestagsabgeordnete Petra Hinz (SPD), hier im Februar im Bundestag, hat angekündigt, sich zu einem späteren Zeitpunkt öffentlich zu äußern. Foto: Hoppe/dpa

Bundestagsabgeordnete Petra Hinz (SPD), hier im Februar im Bundestag, hat angekündigt, sich zu einem späteren Zeitpunkt öffentlich zu äußern. Foto: Hoppe/dpa

Foto: Hoppe/dpa

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Hinz hat nach der scharfen Kritik an ihrem jahrzehntelang gefälschten Lebenslauf alle Ämter in ihrer Partei und in ihrem Essener Ortsverein niedergelegt. Auf ihr Mandat im Bundestag hat sie nach Angaben des Essener SPD-Parteichefs und NRW-Justizminister Thomas Kutschaty allerdings bislang nicht wie von den Sozialdemokraten gefordert verzichtet. Auch im Bundestag sei bis zum Nachmittag kein entsprechendes Schreiben eingegangen, sagte ein Sprecher in Berlin.

In E-Mails an die Partei und ihren Ortsverein im Stadtteil Frohnhausen, deren Vorsitzende sie bislang war, habe die 54-Jährige ihren Rückzug erklärt und angekündigt, sich "zu einem späteren Zeitpunkt öffentlich zu äußern", sagte Kutschaty gestern in Essen . Er bat trotz des Drucks und der Kritik auch um Nachsicht für die Parteifreundin: "Wir können nur annähernd nachvollziehen, in was für einer Situation sie sich gerade befindet."

Die SPD in ihrer Heimatstadt Essen hatte Hinz eine 48-Stunden-Frist gesetzt. Bis Mittwochabend sollte sie als Konsequenz aus dem Skandal um ihren gefälschten Lebenslauf ihr Bundestagsmandat niederlegen. Gleiches gelte für sämtliche weitere Parteifunktionen. Diese Frist war verstrichen, ohne dass sich Hinz geäußert hatte.

Zuvor war bekannt geworden, dass die Parlamentarierin entgegen bisherigen Angaben kein Abitur gemacht und kein Jurastudium abgeschlossen hat. Bereits im Juli hatte die 54-Jährige angekündigt, auf ihr Mandat zu verzichten.

In der vergangenen Woche meldete sich Hinz in Berlin krank und ist seitdem abgetaucht. Sie bat Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU ) um ein Gespräch zu ihrer Mandatsniederlegung, doch erforderlich ist dies nicht. Ein Abgeordneter kann jederzeit aus freiem Willen aus dem Parlament ausscheiden. Solange er Mitglied ist, hat er Anspruch auf die Diäten und eine Kostenpauschale. Zum Verzicht kann Hinz nicht gezwungen werden.

Die Bundestagsfraktion wolle den "Fall Hinz" nach der Sommerpause in ihrer ersten Sitzung beraten, sagte Kutschaty. "Die Möglichkeiten der Essener SPD sind erschöpft, der Ball liegt jetzt nicht mehr in unserem Spielfeld." Unabhängig vom geforderten Mandatsverzicht sei die Schiedskommission gebeten worden, ein Parteiordnungsverfahren zu prüfen.

An der Parteibasis sorgt der Fall weiter für einige Unruhe. Mehrere Parteimitglieder haben den Austritt aus der SPD erklärt und dies mit dem Fall Hinz begründet. "Wir bekommen im Augenblick eine ganze Menge Anrufe und Schreiben von zurecht erzürnten Bürgern", sagte Kutschaty.

Meinung:

Eine Frage des Anstands

Von SZ-Redakteurin Monika Kühborth

Fast hatte man Mitleid mit Petra Hinz . Welcher Druck muss auf ihr gelastet haben die ganzen Jahre. Und wie trügerisch war der Erfolg, den sie sich mit ihrer Lebenslüge erkaufte. Die Seifenblase ist geplatzt, die Strafe bitter: Millionen reden über den (Selbst-)Betrug der Sozialdemokratin - und sie erwarten endlich Konsequenzen. Doch die bleibt Hinz schuldig. Es geht nun mal nicht um Parteiämter, es geht um ihr Bundestagsmandat. Das hätte sie womöglich auch mit ihrer echten Biografie erobern können, ohne Abi und Jura-Studium. Hat sie aber nicht. Sie ist unter falscher Flagge gesegelt. Die muss sie jetzt einholen, und zwar fix. Es ist eine Frage des Anstands.

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