Polit-Theater unter roten Fahnen

Peking · Chinas Kulissenparlament bescheinigt sich große Erfolge im Kampf für Harmonie und Wohlstand des Volkes. Premier Li Keqiang schwört das Land auf Wirtschaftsreformen ein. Die Militärausgaben sollen steigen, die Smog-Belastung hingegen sinken.

Die Zahlen auf der Leinwand steigen immer schneller an. 652, 894, 1657. Bei 2932 stoppt der Zähler. So viele Delegierte aus allen Landesteilen sind in die Große Halle des Volkes in Peking gekommen. In Nationaltracht oder der Armeeuniform lassen sie sich vor den roten Fahnen fotografieren oder stehen gelangweilt in der Ecke. Es ist ihr großer Auftritt. Ihr multimedial inszeniertes Theater, neun Tage lang. Einmal im Jahr spielt China Demokratie. Nationaler Volkskongress nennt sich die Session. Es ist ein Scheinparlament. Hier gibt es keine hitzigen Redeschlachten, nicht einmal Zwischenbemerkungen. Die Delegierten sollen brav das absegnen, was die Gremien der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) beschlossen haben. Ein anachronistisch anmutendes Schauspiel, möchte man meinen, alle Jahre wieder. Und doch ist es die einzige Möglichkeit im Land, bei der Chinas Regierung einen Mini-Einblick in ihre Arbeit gewährt.

Auftritt Li Keqiang. Seine Premiere. Der Ökonom war 2013 als Ministerpräsident angetreten, hat viele Vorschusslorbeeren bekommen und die Anfangsenergie bereits eingebüßt. In die Rolle als Rechenschaftsbericht-Vorleser muss er erst noch hineinfinden. Auch sitzt der festgelegte Applaus, der sich im Plenarsaal gehört, nicht immer. Und Überraschendes fördert er nicht zutage. Das Wachstumsziel soll, wie bereits 2013, bei 7,5 Prozent liegen. Eine stets mit voller Spannung erwartete Zahl. Sie ist nicht bindend und wird vielmehr als Untergrenze verstanden. Erwartungsgemäß steigen aber die Ausgaben fürs Militär. Sie liegen bei 12,2 Prozent, das sind 808 Milliarden Yuan (etwa 95 Milliarden Euro). China plane für die militärische Einsatzfähigkeit "unter allen Szenarien und in allen Gebieten". Die Küsten-, Luft- und Grenzstreitkräfte müssten ausgebaut werden.

"Neun Hauptaufgaben" formuliert Li, sie sind vor allem struktureller Natur. Denn "die Menschen sind weiter unzufrieden mit ihren Häusern, dem Essen, der Krankenversorgung, den Renten, der Bildung, ihrem Einkommen, der Landenteignung, der Umsiedlung und der öffentlichen Sicherheit". Es ist das einzige Eingeständnis der eigenen Fehler der Regierung. Die KPC leiste zwar Außerordentliches, doch ohne Reformen gehe es nicht: Verwaltungsreform, Land- und Bodenreform, Steuerreform, Haushaltsregistrierungsreform, Reformen im Bankensektor, im Versicherungsbereich, bei den Eigentumsrechten.

Mehr Raum als sonst räumt Li der "menschenzentrierten Urbanisierung" ein, seinem Projekt. Knapp 300 Millionen Bauern sollen in drei Phasen zu Städtern werden, vor allem in den unterentwickelten Regionen im Westen. Historischen und kulturellen Stätten solle mehr Bedeutung beigemessen werden, die neuen Städte sollen nicht alle gleich aussehen. Angesichts der enormen Zerstörung alter Bausubstanz, die China betreibt, um Retortenstädte in die Höhe streben zu lassen, wirken solche Worte lächerlich.

Gerade einmal zwei Sätze reichen dem Premier, um auf die umstrittene Territorialfrage mit den Nachbarländern zu verweisen. "Die Meere sind unsere wertvollen Territorien. China ist ein maritime Macht." Und: "Wir werden niemandem erlauben, den Kurs der Geschichte umzudrehen." Ein Wink an die Japaner.

Das alles soll China zu einer "schönen Heimat machen", wie es es im Punkt 9 heißt. Dafür müsste die Regierung einen "Krieg" gegen den Smog im Land führen. 50 000 Kohleöfen werden heruntergefahren, kohleverbrennende Elektrizitätswerke sollen um 15 Prozent reduziert und sechs Millionen Fahrzeuge mit hohen Emissionswerten zerstört werden. Es dürfte ein langer Krieg werden.

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