„Die Zeit spielt gegen Putin“

Die Wirtschaftskrise ist für die Ukraine die größere Gefahr als russische Muskelspiele. Warum, erklärt Osteuropa-Experte Cornelius Ochmann von der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit SZ-Redakteur Pascal Becher.

Herr Ochmann, die ukrainische Übergangsregierung muss die Reformwünsche des Auslands erfüllen und die Demonstranten auf dem Maidan für sich gewinnen. Ist das nicht eine nahezu unlösbare Aufgabe?

Ochmann: Dank Katalysator Wladimir Putin nicht mehr. Die Bedrohung durch eine russische Invasion auf der Krim hat die ukrainische Gesellschaft stärker vereinigt als die Wochen zuvor. Ich erkenne in Kiew schon den Willen, intern voranzukommen.

Wer zieht die Fäden in der Übergangsregierung?

Ochmann: Das sind hauptsächlich altbekannte Politiker der Partei Julia Timoschenkos - sei es Premierminister Arsenij Jazenjuk oder der amtierende Präsident des Landes Alexander Turtschinow. Timoschenko zieht also im Hintergrund die Fäden. Hinzu kommen noch die Vertreter des Maidan-Protests, die ja auch Schlüsselpositionen im Sicherheitsbereich angenommen haben. Vitali Klitschko und seine Partei - die Udar - kamen hier zu kurz.

Wie konnte das passieren?

Ochmann: Ich vermute, es liegt an der Unerfahrenheit Klitschkos, dass er seine Leute in der Übergangsregierung nicht richtig positionieren konnte.

Es gibt derzeit aber drängendere Probleme. Wie steht es um die Wirtschaft?

Ochmann: Sie hat unter der mehrmonatigen Demo auf dem Maidan arg gelitten. Gerade der Finanzmarkt muss dringend stabilisiert werden, denn der Kurs der Hrywnja fällt jeden Tag und die Inflationsrate steigt rapide. Viele Ukrainer müssen schon heute schauen, ob sie sich noch Lebensmitteln leisten können.

Wer kann helfen?

Ochmann: Die EU, die USA und der Internationale Währungsfonds. Sie müssen dem Land einen sofortigen Kredit geben, um die Währung zu stabilisieren und so den Finanzmarkt zu beruhigen. Dies geschieht gerade in internen EU-Verhandlungen.

Verschärft sich so nicht die Krise zwischen Kiew und Moskau?

Ochmann: Die Ukraine hat keine andere Wahl als die Hilfe des Westens anzunehmen - und auch nicht wirklich etwas zu verlieren. Die wirtschaftliche Schieflage ist bedrohlicher als die Muskelspiele Putins.

Aber was, wenn Putin der Ukraine doch den Gashahn abdreht?

Ochmann: Da hätte er viel mehr zu verlieren als die Ukraine oder auch Deutschland, die ja ebenfalls russisches Gas und Öl importieren. Die Russische Wirtschaft hängt am Öl- und Gasexport. Die Reservetanks der beiden Importländer sind durch den milden Winter prall gefüllt und es wird Frühling. Die Zeit spielt also gegen Putin.

Und ein Militärschlag an der Krim wäre wirklich absurd?

Ochmann: Putin weiß derzeit einfach nicht, was er machen soll mit der Ukraine. Und droht deshalb. So ist auch das jüngste, dementierte Ultimatum an die Ukraine zu sehen. Kiew sollte Moskau die Krim binnen eines Tages kampflos übergeben, sonst würde die russische Armee angreifen. Moskau hat diese Forderung als Falschmeldung dementiert. Ich bin mir aber sicher, dass Putin der Absender war. Er wollte testen, wie die Welt auf einen Angriff reagieren würde. Würde der Kreml tatsächlich zum Militärschlag ausholen, friert der Westen die Auslandskonten reicher Russen ein, storniert Gas- und Öllieferungen und streicht Militärkooperationen.

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