Parteitag segnet Koalitionsvertrag ab CDU stimmt „mit geballter Faust im Sack“ zu

Berlin · Bei nur 27 Nein-Stimmen billigt die Partei den Groko-Vertrag. Unter der Oberfläche brodelt es weiter. Aber Kramp-Karrenbauer wird gefeiert.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach ihrer Rede vor dem CDU-Parteitag.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nach ihrer Rede vor dem CDU-Parteitag.

Foto: dpa/Ralf Hirschberger

So wie sie bei der SPD leidenschaftliche Debatte können, so können sie bei der CDU Geschlossenheit. Der gestrige Berliner Parteitag ist dafür eine Demonstration. Freilich hat Parteichefin Angela Merkel bei der Inszenierung wenig dem Zufall überlassen. Unter der Oberfläche brodelt es weiter.

Das Treffen der 1001 Delegierten beginnt mit einer ökomenischen Andacht. Fanfarenstöße von den Berliner Dombläsern, Fürbitten und gemeinschaftlicher Gesang: „Lobet den Herren“. Wertedebatten? Die führt in Berlin nur ein kleines Grüpplein, das sich „Werteunion“ nennt und vor dem Veranstaltungssaal Flugblätter verteilt. Sie will einen klaren Rechtskurs, weniger Zuwanderung, weniger Europa, keine Groko. Merkel lässt einen Antrag beschließen, wonach bis zum nächsten Parteitag im Dezember ein Papier zur „sozialen Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert“ formuliert werden soll. Das soll der Start für einen „umfassenden Diskussionsprozess“ sein, der irgendwann in einem neuen Grundsatzprogramm mündet. So wird die Partei beschäftigt. Die Delegierten stimmen mit großer Mehrheit zu. War was?

Unter den 50, die sich in der Aussprache nach Merkels Rede zu Wort melden, äußert fast jeder dritte Kritik. Am Führungsstil, an zu vielen Kompromissen mit der SPD, an fehlenden Ostdeutschen im Kabinett, am schlechten Wahlergebnis, an der Flüchtlingspolitik, an Details des Koalitionsvertrages. Für einen CDU-Parteitag ist das ein kleiner Aufstand. Aber der Beifall ist jedes Mal dünn, und vor allem schlägt sich die Kritik nicht in der Schlussabstimmung über den Koalitionsvertrag nieder. Nur 27 votieren mit Nein. Vielleicht hat manchen auch der Mut verlassen, denn die Abstimmung ist offen, nicht geheim. „Dieses Land darf kein unregierbares Italien werden“, erläutert Christian Natterer aus Ravensburg sein Motiv. Er sagt Ja zum erneuten Bündnis mit der SPD. „Aber mit geballter Faust im Sack“, betont Natterer.

Den meisten Ärger gab es im Vorfeld wegen der Ressortverteilung. „Ja, auch ich empfinde den Verlust des Finanzministeriums als schmerzhaft“, betont Merkel. „Aber hätten wir daran die Koalitionsverhandlungen scheitern lassen ...“ Sie wird von Beifall unterbrochen. Nein, hätte sie nicht. Damit ist das im Grunde schon erledigt. Merkel fügt noch hinzu, dass man dafür das Wirtschaftsministerium bekommen habe, „das Haus Ludwig Erhards, das Kraftzentrum der sozialen Marktwirtschaft“.

Personaldebatten? Merkel bekommt im Gegenteil viel Lob für ihre Personalentscheidungen, von den Frauen sowieso, die jetzt die Hälfte der CDU-Ressorts besetzen und seit diesem Parteitag mit Annegret Kramp-Karrenbauer auch noch die Generalsekretärin stellen. Die Saarländerin hält eine kämpferische Rede, die mehrfach von frenetischem Applaus unterbrochen wurde.  Dabei begründet sie auch ausführlich, warum sie nicht mal ein Jahr nach ihrer Wiederwahl zur Ministerpräsidentin im Saarland das Staatsamt aufgibt und nach Berlin geht: Für sie gehe es um die Zukunft der Volksparteien. In schwierigen Zeiten reiche es nicht, sich zu beschweren. Man müsse mitgestalten. Und: „Alles, was ich in meinem Leben politisch erreicht habe, habe ich dieser Partei zu verdanken.“ Davon wolle sie etwas zurückgeben. Sie habe bewusst das Parteiamt dem Angebot vorgezogen, ins Bundeskabinett einzutreten.

Am meisten punktet Kramp-Karrenbauer, als sie sich nach der AfD auch die liberale Konkurrenz vornimmt – für deren  Absage an das Jamaika-Bündnis: „Wenn das alle Handwerker in diesem Land machen würden – ganz Deutschland würde in Schutt und Asche liegen.“  Da tobt der Saal.  Anschließend wird Kramp-Karrenbauer mit dem Rekord-Ergebnis von 98,8 Prozent der Stimmen gewählt, sie ist ab sofort Merkels Kronprinzessin. So wie Jens Spahn als neuer Gesundheitsminister ihr Kronprinz wird. Beide müssen sich nun erst mal bewähren.

Zuvor wird Kramp-Karrenbauer am Donnerstag noch ihren Nachfolger Tobias Hans im Landtag mitwählen, bevor sie auch ihr Landtagsmandat niederlegt. Hans forderte in Berlin die CDU auf, ihr konservatives Profil zu schärfen: „Es geht darum, dass es einen Raum gibt auch für das Konservative in einer CDU“, sagt Hans. Er halte „eine christdemokratische Partei für im Grunde immer konservativ“.

Während die Jungen wie Hans nachrücken, werden die Scheidenden alle noch einmal ordentlich verabschiedet. De Maizière erntet Begeisterung, als er sagt: „Ich gehe als stolzer und dankbarer Bundesminister und bleibe ein stolzer und dankbarer Christdemokrat.“

 Annegret Kramp-Karrenbauer (links) wurde zuerst bejubelt und dann mit einem Rekord-Ergebnis zur neuen CDU-Generalsekretärin gewählt. Hier gratuliert ihr unter anderem Kanzlerin Angela Merkel (Mitte).

Annegret Kramp-Karrenbauer (links) wurde zuerst bejubelt und dann mit einem Rekord-Ergebnis zur neuen CDU-Generalsekretärin gewählt. Hier gratuliert ihr unter anderem Kanzlerin Angela Merkel (Mitte).

Foto: dpa/Ralf Hirschberger
Tobias Hans, designierter Ministerpräsident des Saarlandes, will das konservative Profil der CDU schärfen.

Tobias Hans, designierter Ministerpräsident des Saarlandes, will das konservative Profil der CDU schärfen.

Foto: dpa/Ralf Hirschberger

Die CDU-Chefin hält eine typische Merkel-Spiegelstrichrede. Viele Punkte aus dem Koalitionsvertrag werden von ihr positiv erwähnt, auch solche, die die SPD als Erfolge für sich reklamiert. Etwa die Kostenfreiheit der Ausbildung in Gesundheitsberufen oder die familienpolitischen Reformen. Die Selbstkritik fällt hingegen provozierend kurz aus. „Das Wahlergebnis entspricht nicht unseren Ansprüchen“, sagt die Kanzlerin nur, und dass es ein verbreitetes Unbehagen in der Bevölkerung gegeben habe. An der Globalisierung, an den Flüchtlingsströmen, an der unsicheren Weltlage. Dann kommt schon das große Aber: Die CDU sei die Partei der Verantwortung. „Wir werfen den Regierungsauftrag nicht einfach vor die Füße der Wähler, und wir ziehen uns nicht in Selbstfindungsprozesse zurück“. Herzliche Grüße aus Berlin an FDP und SPD.

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