Teuerungsrate Im Kampf gegen Rekordinflation: EZB erhöht Leitzinsen im Euroraum um 0,75 Prozentpunkte

Die Rekordinflation im Euroraum zwingt Europas Währungshüter zum Gegensteuern: Zum dritten Mal in Folge erhöht die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen. Zinsanhebungen freuen Sparer, haben aber auch Schattenseiten.

Europas Währungshüter drücken beim Kampf gegen die Rekordinflation im Euroraum aufs Tempo. Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) beschloss am Donnerstag (27. Oktober) erneut eine deutliche Zinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte. Damit steigt der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der EZB leihen können, auf 2,0 Prozent, wie die Notenbank in Frankfurt mitteilte. Mit ihren Zinserhöhungen will die EZB Kredite verteuern, um die Nachfrage zu bremsen und so hohen Teuerungsraten entgegenzuwirken. Der EZB-Rat geht davon aus, dass weitere Zinsanhebungen folgen werden.

EZB will Preisstabilität gewährleisten

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte unlängst die Entschlossenheit der Notenbank im Kampf gegen die hohe Inflation bekräftigt. „Wir werden tun, was wir tun müssen. Das heißt, die Zinsen in den nächsten Sitzungen erhöhen“, sagte Lagarde. Wenn die EZB ihren Auftrag zur Gewährleistung von Preisstabilität nicht erfülle, „würde das der Wirtschaft viel mehr schaden“.

Nach langem Zögern hatte der EZB-Rat bei seiner Sitzung am 21. Juli erstmals seit elf Jahren die Zinsen im Euroraum wieder angehoben. Die zweite Erhöhung folgte am 8. September - erstmals in der Geschichte der Notenbank um 0,75 Prozentpunkte. Die EZB hatte die hohe Inflation lange als vorübergehend interpretiert und hatte erst später als beispielsweise die US-Notenbank Fed mit Zinserhöhungen begonnen.

Statistisches Bundesamt: Auffällige Preisveränderungen im Juli 2022
13 Bilder

Ranking – diese Produkte haben sich am meisten verteuert

13 Bilder
Foto: dpa/Christian Charisius

Negativzinsen vielerorts wieder abgeschafft

Der sogenannte Einlagensatz, den Kreditinstitute erhalten, wenn sie Geld bei der EZB parken, steigt nach der Entscheidung vom Donnerstag auf 1,50 Prozent. Zur Freude von Millionen Sparern endete mit der ersten Zinserhöhung im Juli auch die Phase der Negativzinsen. Geschäftsbanken müssen seither nicht mehr 0,5 Prozent Zinsen für einen Teil des Geldes zahlen, dass sie bei der Notenbank parken. Die meisten Institute schafften in der Folge Negativzinsen für Privatkunden wieder ab und tasten sich bei den Sparzinsen nach oben.

Die Inflation im Euroraum war im September angetrieben von hohen Energie- und Lebensmittelpreisen auf einen Rekordwert gestiegen. Gegenüber dem Vorjahresmonat erhöhten sich die Verbraucherpreise um 9,9 Prozent. Es war der höchste Wert seit Einführung des Euro als Buchgeld 1999.

Allerdings gibt es Sorge, mit einer zu schnellen Normalisierung der zuvor jahrelang ultralockeren Geldpolitik die Konjunktur auszubremsen, die ohnehin unter Lieferengpässen und den Folgen des Ukraine-Krieges etwa auf dem Energiemarkt leidet. Die EZB behält sich daher vor, über Anleihenkäufe hochverschuldeten Eurostaaten unter die Arme zu greifen.

Das sind die Folgen der Zinserhöhung für ...

Verbraucher:

Die Menschen in Deutschland und im Euroraum können sich angesichts der hohen Inflation für einen Euro zunehmend weniger leisten. Nach einer Umfrage des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes haben in den vergangenen zwölf Monaten 57 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland ihren Konsum bereits eingeschränkt. Auf eine schnelle Entspannung bei den Preisen können die Menschen allerdings auch nach der dritten Zinserhöhung im Euroraum in Folge nicht hoffen. Gegen steigende Energiepreise, die die Inflation vor allem anheizen, sind Europas Währungshüter weitgehend machtlos.

Die Notenbank kann aber dazu beitragen dass sich die Teuerungsrate nicht dauerhaft auf hohem Niveau festsetzt. Die Sorge: „Rechnen die Bürger auch langfristig mit einer hohen Inflation, werden die Gewerkschaften hohe Lohnsteigerungen fordern und zum Teil durchsetzen“, erläuterte Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank in einem Gastbeitrag in der „Börsen-Zeitung“. „Hinzu kommt, dass Unternehmen leichter höhere Preise durchsetzen können, wenn die Menschen ohnehin mit einer hohen Inflation rechnen.“ Es besteht die Gefahr, dass sich Löhne und Preise dann gegenseitig hochschaukeln.

Sparer:

Nahezu alle Kreditinstitute haben Negativzinsen auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto abgeschafft und tasten sich an höhere Sparzinsen heran. „Wir sehen aktuell ein deutliches Comeback der klassischen Geldanlagen wie Tagesgeld- oder Festgeldkonten“, berichtet Moritz Felde, Geschäftsführer Finanzservice bei der Vergleichsplattform Check24. Nach Daten des Verbraucherportals Biallo werden für einjähriges Festgeld aktuell im Schnitt knapp ein Prozent Zinsen bezahlt.

Allerdings nagt die hohe Inflation an dem Ersparten. „Bei 10 Prozent Inflation liegt der reale Zinssatz deutlich im Minus. Das ist schlechter als in früheren Negativzinszeiten“, erläutert DSGV-Präsident Helmut Schleweis. Der Realzins ist der Zins für Spareinlagen nach Abzug der Teuerungsrate. Bis die Zinsen beim Festgeld oder Tagesgeld auch nur annähernd an die Inflationsrate heranreichen, werden nach Einschätzung der FMH Finanzberatung noch viele Monate, vielleicht sogar Jahre vergehen.

Kreditnehmer:

Für sie ist es teurer geworden, sich frisches Geld zu leihen. Check24 zufolge zahlen Kreditnehmer beispielsweise für einen neuen Ratenkredit in Höhe von 10 000 Euro mit einer Laufzeit von 36 Monaten aktuell im Schnitt 8,50 Euro mehr pro Monat als noch im Januar.

Bauzinsen:

Sie sind nicht direkt von EZB-Zinsentscheidungen abhängig, sondern orientieren sich an der Verzinsung von Bundesanleihen. Bereits vor den Zinserhöhungen der Notenbank sind die Bauzinsen gestiegen. Höhere Zinsen treffen vor allem diejenigen, die ein neues Darlehen brauchen oder eine Anschlussfinanzierung für einen Immobilienkredit. Bei laufenden Hypothekenkrediten ändert sich nichts an der Zinshöhe.

Lebensversicherungen:

Bis der Altersvorsorgeklassiker in der Breite von höheren Zinsen am Kapitalmarkt profitiert, dürfte es noch eine Weile dauern. Branchenexperten erwarten, dass Lebensversicherer zunächst sogenannte stille Lasten in der Bilanz abbauen, die durch die Zinswende entstehen, statt die Überschussbeteiligung zu erhöhen. Die Überschussbeteiligung, die Assekuranzen je nach Wirtschaftslage und Erfolg ihrer Anlagestrategie jedes Jahr neu festsetzen, ist ein wichtiger Teil der laufenden Verzinsung.

Konjunktur:

Notenbanken müssen die Geldpolitik straffen, wenn sie die Inflation bekämpfen wollen. Damit wird der Wirtschaft Geld entzogen, was das Wachstum dämpft. Der Chef der italienischen Notenbank, Ignazio Visco, warnte unlängst vor zu starken Leitzinserhöhungen durch die EZB. „Die steigende Inflation geht jetzt mit einer plötzlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Wachstumsaussichten einher“, sagte Visco, der im EZB-Rat über die Geldpolitik mitbestimmt. „Vor diesem Hintergrund erhöhen zu rasche und deutliche Zinserhöhungen das Risiko einer Rezession.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort