Neues Arbeitszeit-Modell Vier-Tage-Woche: Wie realistisch ist das in deutschen Unternehmen?

Stuttgart/London · Weniger Arbeitstage pro Woche: Sind Menschen zufriedener oder gar produktiver, wenn sie einen Tag weniger arbeiten? Einige deutsche Betriebe probieren das aus. Im Ausland ist man teilweise schon einen Schritt weiter.

In der Sanitär-Firma von Marcus Gaßner und seiner Frau Ayleen Bauser in Denkingen arbeiten die Angestellten bereits in einer Vier-Tage Woche.

In der Sanitär-Firma von Marcus Gaßner und seiner Frau Ayleen Bauser in Denkingen arbeiten die Angestellten bereits in einer Vier-Tage Woche.

Foto: dpa/Silas Stein

Vier Tage arbeiten, drei Tage Wochenende – und das bei gleichem Gehalt? Was für viele nach Wunschdenken klingt, ist im Sanitärbetrieb von Marcus Gaßner und seiner Frau Ayleen Bauser schon seit Jahren Realität. „Wir sind dadurch viel entspannter, aber auch geplanter und strukturierter“, sagt Bauser. Doch ist das, was in der Firma am Fuße der Schwäbischen Alb und auch in anderen Betrieben funktioniert, auch großflächig denkbar – trotz oder gerade wegen des Arbeitskräftemangels an allen Ecken und Enden?

In Deutschland ging die Diskussion zuletzt in eine andere Richtung: Da war etwa Industriepräsident Siegfried Russwurm, der mit der 42-Stunden-Woche sympathisierte. Oder Gesamtmetallchef Stefan Wolf, der die Rente mit 70 in Spiel brachte. Das Argument: Wenn die Babyboomer bald in Rente gehen und immer weniger arbeitende Bevölkerung zur Verfügung steht, müssen die Verbleibenden länger ran.

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Das sagt ein Arbeitsforscher zu den Vorschlägen einer vier-Tage-Woche

Arbeitsforscher Philipp Frey vom Karlsruher Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse hält dagegen: „Natürlich ist es erst mal kontraintuitiv zu sagen: In einer Lage, wo wir eher wenige Arbeitskräfte zur Verfügung haben, verkürzen wir jetzt die Arbeitszeit.“ Es gebe mittlerweile aber eine sehr gute Studienlage zu steigender Produktivität bei Arbeitszeitverkürzung. „Volkswirtschaftlich ist es definitiv möglich.“

Wie das funktionieren kann, versucht derzeit eine Studie in Großbritannien herauszufinden. Insgesamt sind an dem Pilotprojekt mehr als 70 Unternehmen beteiligt, die ihren insgesamt über 3300 Beschäftigten zunächst für sechs Monate einen zusätzlichen freien bezahlten Tag pro Woche gewähren.

Zur Halbzeit antworteten 86 Prozent der in einer Zwischenauswertung befragten Unternehmen, sich die Vier-Tage-Woche auch langfristig vorstellen zu können. 88 Prozent gaben an, das Modell funktioniere gut in ihrem Arbeitsalltag.

Auch in anderen Ländern wird oder wurde mit der Vier-Tage-Woche experimentiert. In Island etwa zeigte eine Studie unter 2500 Beschäftigten, dass die Produktivität bei einer Vier-Tage-Woche und meist reduzierter Arbeitszeit größtenteils gleich blieb oder besser wurde. Belgien will die Vier-Tage-Woche sogar landesweit ermöglichen. Allerdings wird die wöchentliche Arbeitszeit nicht verkürzt.

Historisch betrachtet habe es in den vergangenen 200 Jahren einen Trend zur Arbeitszeitverkürzung gegeben, sagt Arbeitsforscher Frey. So habe sich die 60-Stunden-Woche hin zu einem tarifvertraglichen Mittel von 38 Stunden Vollzeit entwickelt. Dass dieser Wert seit 30 Jahren in Deutschland stagniere, sei die absolute Ausnahme.

Die Ergebnisse in England hätten zudem gezeigt, dass der Fachkräftemangel für viele Betriebe ein zentrales Argument für die Einführung der Vier-Tage-Woche war – um sich als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren und sich aus der Masse abzuheben.

Warum der Zentralverband des Deutschen Handwerks skeptisch ist

Beim Zentralverband des Deutschen Handwerks kennt man das Argument, der Verband ist aber skeptisch: Für einzelne Beschäftigte könne das attraktiv sein, in der Summe stünden dadurch aber auch nicht mehr Fachkräfte zur Verfügung. Presse man eine 40-Stunden-Woche zudem in vier Arbeitstage, könne das zu sehr langen Abwesenheiten von Familie und Privatleben führen. Betriebe mit einem solchen Arbeitszeitmodell könnten dann gerade für Frauen weniger attraktiv werden – und der Pool an Fachkräften somit sogar kleiner werden, so der Verband.

So stehen Gewerkschaften zu einem neuen Arbeitszeitmodell

Zehn-Stunden-Tage schweben auch den Gewerkschaften nicht vor, die der Idee grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstehen. „An jedem der verbliebenen vier Tage einfach mehr zu arbeiten, erhöht den Stress und ist damit aus unserer Sicht keine Lösung“, heißt es von er IG Metall. Zur Arbeitszeitverkürzung müsse ein Lohnausgleich kommen.

Das fordert auch der Vorsitzende der Tarifpolitischen Grundsatzabteilung bei Verdi, Norbert Reuter. Sonst handele es sich bloß um ein Teilzeitmodell. Aus seiner Sicht ist es auch nicht zielführend, eine mögliche Arbeitszeitverkürzung auf vier Tage festzusetzen. Vielmehr müsse sie Beschäftigten Flexibilität ermöglichen. Vor allem für Großkonzerne sei ein solches Modell umsetzbar.

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