Berlin/Kopenhagen/Warschau Was hat die Nord-Stream-Lecks verursacht?

Berlin/Kopenhagen/Warschau · Auf dem Grund der Ostsee ist es offenbar zu großen Schäden an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 gekommen. Langsam wird das Ausmaß deutlich. Die Ursache ist noch unklar, es gibt aber Vermutungen.

  Nicht verbaute Rohre für die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 lagern auf dem Gelände des Hafens Mukran. An den Pipelines sind Lecks entdeckt worden. Die Ursache ist noch unklar, viele halten aber Sabotage für denkbar.

Nicht verbaute Rohre für die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 lagern auf dem Gelände des Hafens Mukran. An den Pipelines sind Lecks entdeckt worden. Die Ursache ist noch unklar, viele halten aber Sabotage für denkbar.

Foto: dpa/Stefan Sauer

Zuletzt floss durch die beiden Ostsee-Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 kein Gas von Russland nach Deutschland. Die Leitungen sorgen dennoch für Unruhe. Offenbar sind sie stark beschädigt.

Was ist passiert?

In der Nacht zum Montag war zunächst in einer der beiden Röhren der Pipeline Nord Stream 2 ein starker Druckabfall festgestellt worden. Am Montagabend meldete dann auch der Betreiber von Nord Stream 1 einen Druckabfall – in diesem Fall für beide Röhren. Am Dienstag teilte die dänische Energiebehörde mit, es gebe insgesamt drei Gaslecks nahe der Insel Bornholm – zwei Lecks an Nord Stream 1 nordöstlich der Ostsee-Insel sowie eines an Nord Stream 2 südöstlich der Insel.

Wie ist es zu den Lecks gekommen?

Die Ursache sei bislang nicht geklärt, hieß es am Dienstagmorgen aus Sicherheitskreisen. Jedoch spreche einiges für Sabotage. Sollte es sich um einen Anschlag handeln, würde angesichts des technischen Aufwands eigentlich nur ein staatlicher Akteur infrage kommen.

Nach Ansicht des polnischen Regierungschefs Mateusz Morawiecki sind die Lecks auf Sabotage zurückzuführen. „Wir kennen heute noch nicht die Details dessen, was da passiert ist, aber wir sehen deutlich, dass ein Sabotageakt vorliegt“, sagte Morawiecki. Dieser Sabotageakt sei „wahrscheinlich die nächste Stufe der Eskalation, mit der wir es in der Ukraine zu tun haben“. „Jetzt kann keine Variante ausgeschlossen werden“, sagte auch Kremlsprecher Dmitri Peskow. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) äußerte sich zurückhaltend zur Ursache. Eine Spekulation darüber verbiete sich, solange die Aufklärung nicht erfolgt sei. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte: „Das ist etwas, das wir sehr genau beobachten.“

Am Abend dann eine Erklärung aus Kopenhagen: Die Gaslecks sind nach Angaben der dänischen Regierung nicht auf einen Unfall zurückzuführen. Die Behörden seien zu der eindeutigen Bewertung gekommen, dass es sich um absichtliche Taten handle und nicht um ein Unglück, sagte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. In der Nacht seien mehrere Explosionen beobachtet worden. Es gebe noch keine Informationen dazu, wer dahinterstecke. Ähnlich äußerte sich später auch Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson.

Auch Nord-Stream-2-Sprecher Ulrich Lissek hatte zuvor erklärt, die Leitungen seien so verlegt, dass eine gleichzeitige Beschädigung mehrerer Rohre etwa durch einen einzelnen Schiffsunfall höchst unwahrscheinlich ist. Ein Experte für Unterwasserroboter verwies auf die extrem hohen Sicherheitsstandards. Es komme nur eine bewusste Manipulation in Frage.

Wie sieht es vor Ort aus?

Gesehen hat die Lecks noch niemand. Erahnen lassen sie sich aber schon jetzt: Das dänische Militär veröffentlichte am Dienstag erste Aufnahmen von einer gewaltigen Menge an Blasen an der Wasseroberfläche. Aus dem Leck an Nord Stream 2 ströme derzeit „richtig, richtig viel Gas“, wurde der Leiter der dänischen Energiebehörde, Kristoffer Böttzauw, von der Zeitung Berlingske zitiert. Dies bedeute, dass das Wasser äußerst aufgewühlt sei. Angesichts dieser Menge Gas könne es sich nicht um einen kleinen Riss in der Pipeline handeln. „Das ist ein richtig großes Loch“, sagte Böttzauw demnach.

Geht von den Lecks Gefahr aus?

Zumindest direkt über den Gaslecks besteht für die Schifffahrt Gefahr. Nach Angaben der dänischen Energiebehörde können Schiffe den Auftrieb verlieren, wenn sie in das Gebiet hineinfahren. Zudem bestehe möglicherweise eine Entzündungsgefahr. Außerhalb der Zone gebe es keine Gefahr. Die dänische Schifffahrtsbehörde hat für den Schiffsverkehr entsprechende Sperrzonen eingerichtet.

In Deutschland sieht das für die hiesigen Pipeline-Abschnitte zuständige Bergamt Stralsund zumindest keine unmittelbare Gefahr einer Verschlimmerung der Lage: „Eine weitere Schadensausbreitung dürfte aus technischer Sicht – nach gegenwärtigem Stand – unwahrscheinlich sein“, teilte die Behörde am Dienstag mit. Der Druck in den Leitungen habe sich entsprechend der Wassertiefe auf einem niedrigen Niveau eingestellt.

Wie geht es weiter?

Da eines der Lecks in schwedischen Hoheitsgewässern liegt, wurden sowohl in Schweden als auch Dänemark Krisenstäbe einberufen. Als man von den Lecks erfahren habe, sei das Krisenmanagement zusammengerufen worden, an dem mehrere Ministerien und Behörden beteiligt seien, sagte die schwedische Außenministerin Ann Linde der Zeitung Aftonbladet. Der dänische Außenminister Jeppe Kofod habe sie kontaktiert, es sollte virtuelle Treffen geben.

Auch der Betreiber der Nord-Stream-1-Trasse will nicht untätig bleiben. Man veranlasse derzeit Untersuchungen, sagte ein Sprecher der Nord Stream AG, die für Nord Stream 1 zuständig ist. Ein Experte für Unterwasserroboter geht nach eigener Aussage davon aus, dass sich die Behörden mit Tauchrobotern ein Bild von der Lage machen werden.

Haben die Schäden Auswirkungen auf die Gas-Speicherbefüllung?

Nein. Nord Stream 2 war bislang nicht in Betrieb genommen worden. Den Gastransport durch Nord Stream 1 hatte Russland am Morgen des 31. August eingestellt. Seitdem bekommt Deutschland kein Erdgas mehr aus Russland. Trotzdem können die Gasspeicher in Deutschland weiter befüllt werden. Derzeit erhält Deutschland Erdgas über Pipelines aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien. Die täglichen Gesamtfüllstandswerte nehmen seit dem 19. Juli kontinuierlich zu. Mittlerweile sind die deutschen Speicher laut Bundesnetzagentur zu 91,3 Prozent gefüllt. Eine weitere Entlastung der Gasversorgungslage wird für den Jahreswechsel erwartet: durch die geplante Inbetriebnahme von drei Terminals an Nord- und Ostseeküste zur Anlandung von verflüssigtem Erdgas (LNG).

Allerdings zog der Preis für europäisches Erdgas am Dienstag an. Der Terminkontrakt TTF für niederländisches Erdgas stieg bis auf rund 194 Euro je Megawattstunde an. Zuletzt lag er bei rund 188 Euro, etwa acht Prozent mehr als am Vortag.

(dpa)
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