Zwischen Luxus und Rechtsanspruch

München/Ansbach · Muss die Stadt München einer Familie Geld zahlen, die ihr Kind in eine Luxuskrippe schickt, weil sie keinen Platz in einer städtischen Kita bekommen hat? Das Bayerische Verwaltungsgericht meint: Ja. Schließlich sei die Stadt „nicht in die Puschen gekommen“.

 Spaß in der Kita: Seit 2013 haben Kinder einen rechtlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz. Bei der Verteilung der Plätze gibt es immer wieder Streitigkeiten, die mitunter vor Gericht landen. Ein Fall aus Bayern sorgt jetzt für Aufsehen. Foto: Fotolia

Spaß in der Kita: Seit 2013 haben Kinder einen rechtlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz. Bei der Verteilung der Plätze gibt es immer wieder Streitigkeiten, die mitunter vor Gericht landen. Ein Fall aus Bayern sorgt jetzt für Aufsehen. Foto: Fotolia

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Eine junge Zahnärztin zieht mit Mann und Kind von Köln nach München und sucht nach einer Betreuungsmöglichkeit für den kleinen Sohn. Weil sie keinen passenden Platz in einer städtischen Einrichtung findet, wird das Kind in einer privaten Krippe angemeldet, einer modernen Luxus-Kita. Schließlich werden die Kinder dort nicht nur zweisprachig (deutsch und englisch) erzogen, es gibt auch Kinder-Yoga und Tanzkurse - für 1380 Euro im Monat. Zum Vergleich: Ein städtischer Platz kostet im Höchstfall um die 400 Euro . Doch die Familie pocht auf das Recht des kleinen Kindes auf einen Betreuungsplatz und fordert die Stadt auf, die Differenz von fast 1000 Euro im Monat zwischen kommunaler Krippe und Luxus-Kita zu zahlen. Und nach Einschätzung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes hat sie auch völlig Recht damit.

Schließlich sei die Stadt "nicht in die Puschen gekommen", sagt der Vorsitzende Richter Karl-Georg Mayer am Donnerstag in einer Zweigstelle des Gerichtshofes in Ansbach. Für 1. April 2014 habe die Familie einen Betreuungsplatz für das Kind haben wollen und habe sich dafür im September 2013 beworben. Zum 1. April sei aber keiner angeboten worden. Pech für die Stadt. "Da hätten sie bereits einen Platz reservieren müssen; am 1. April hätte der stehen müssen", sagt Mayer. Zwar soll das Urteil den Prozessparteien erst in der kommenden Woche zugestellt werden. Der Richter lässt aber keinen Zweifel daran, wie es ausfallen wird.

Aus seiner Sicht ändert es auch nichts, dass die Stadt der Familie Plätze bei sechs verschiedenen Tagesmüttern anbot. Er sieht den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz dadurch nicht erfüllt, weil die entweder zu kurze Betreuungszeiten angeboten hätten - oder mit einer Entfernung von knapp unter 30 Minuten mit der U-Bahn zu weit weg gewesen seien. 30 Minuten galten nach bisheriger Rechtsprechung eigentlich gemeinhin als gerade noch zumutbar, doch Mayer sieht das anders. Man müsse sich auch einmal in eine Mutter hineinversetzen, die morgens eine Stunde brauche, um ihr Kind in die Kita zu bringen und abends eine Stunde, um es wieder abzuholen. "Da muss man sich emotional einfühlen."

Das Urteil stärkt die Rechte der Familie im Kampf um begehrte Kita-Plätze - sorgt aber vor allem dafür, dass der Stadt München und womöglich auch anderen Kommunen und Bayern und ganz Deutschland angst und bange werden könnte. Zwar geht es im vorliegenden Fall nur um ein paar Tausend Euro , doch nicht nur der Verwaltungsgerichtshof spricht von einem "Musterverfahren". Allein dort sind derzeit fünf weitere, ähnlich gelagerte Fälle anhängig.

Bis zu 18 Millionen Euro könnte es die Stadt im schlimmsten Fall kosten, wenn Eltern , denen es in München ähnlich geht, dem Beispiel der Zahnärztin folgen, hat Stadtdirektorin Susanne Herrmann vom zuständigen Referat für Bildung und Sport ausgerechnet. Sie findet das Urteil mehr als bedenklich, weil es teure Krippen begünstige - und Eltern völlig unabhängig von ihrem Einkommen. Obwohl die klagende Zahnarzt-Familie schließlich einen Platz in einem städtischen Kindergarten angeboten bekommen habe, habe sie sich doch wieder für einen privaten entschieden, sagt Herrmann. Ganz freiwillig - und ohne Aussicht auf weitere städtische Beihilfe.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ist nicht die letzte Instanz, die sich mit dem Fall befassen wird. Der Senat hat die Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zugelassen, die Stadt München hat schon angekündigt, den Weg gehen zu wollen. Ein Weg, den Familien in ganz Deutschland interessiert verfolgen dürften. Es gibt noch keine klaren Regeln, unter welchen Umständen Eltern einen Kita-Platz für ihr Kind ablehnen können. Derzeit wird die eine oder andere Frage vor Gericht geklärt. Einiges zeichnet sich aber schon ab:

So wird in verschiedenen Urteilen eine "zumutbare Entfernung" zwischen Wohnort und Kita von maximal fünf Kilometern oder 30 Minuten Fahrzeit beziehungsweise Fußweg genannt. Unzumutbar kann eine Kita auch sein, wenn sie den gültigen Standards nicht entspricht, also: Wenn das Gebäude, in dem sie sich befindet, bauliche Mängel hat, wenn zu viele Kinder in einer Gruppe sind oder die Qualifizierung der Betreuerinnen und Betreuer ungenügend ist. Der Kita-Platz muss auf den Bedarf der Eltern Rücksicht nehmen. Sind diese vollzeitbeschäftigt, muss das Kind entsprechend ganztägig betreut werden. Arbeiten nicht beide Eltern ganztägig, kann es sein, dass sie sich mit einer Halbtagsstelle begnügen müssen. Zudem gibt es ein Modellprogramm "Kita Plus", das flexibler auf Berufsgruppen reagieren soll, deren Arbeitszeit außerhalb der üblichen Kita-Öffnungszeiten liegt.

Unklar ist auch, ob ein Rechtsanspruch besteht, sein bisher in einer privaten Einrichtung betreutes Kind in eine kommunale Kita zu geben. Grundsätzlich ist nämlich die Verpflichtung zur Betreuung des Kindes auch mit der privaten Einrichtung erfüllt.

Wenn Eltern ein Angebot ablehnen, müssen sie es jedenfalls plausibel begründen. Ein Anspruch auf einen Platz in einer bestimmten Kita besteht nicht. Und wer einen zumutbaren Kita-Platz ablehnt, verliert den Rechtsanspruch darauf. Weite Anfahrtswege, ungünstige Betreuungszeiten - Streitigkeiten um einen Kita-Platz sind im Saarland seit Einführung des gesetzlichen Anspruchs für Kinder unter drei Jahren im August 2013 noch nicht vor Gericht gelandet. Es gebe zwar immer wieder mal Fälle, in denen die Vorstellungen von Eltern und Kommunen auseinandergingen, sagte Martin Luckas, Geschäftsführer des saarländischen Landkreistages, gestern auf Anfrage der Saarbrücker Zeitung. "Bisher ist es aber immer gelungen, in Gesprächen gemeinsam eine Lösung zu finden. Rechtsstreitigkeiten gab es deshalb nicht."

Der Ausbau der Betreuungsangebote gehe im Saarland unterschiedlich gut voran, sagte Luckas weiter. In einigen Regionen gebe es mehr Plätze als derzeit benötigt werden. "Da haben wir noch freie Kapazitäten". Im Regionalverband Saarbrücken und im Landkreis Saarlouis gebe es hingegen Probleme. Je nach Region oder Einrichtung koste ein Platz in einer Kita oder Krippe hierzulande etwa 300 und 400 Euro .

Meinung:

Weckruf für die Kommunen

Von SZ-Redakteurin Stefanie Marsch

So viel Geld für einen Kita-Platz? 1380 Euro pro Monat sind ein stolzer Preis, selbst für eine teure Stadt wie München. Von Luxusangeboten wie Yoga-Unterricht und zweisprachiger Erziehung ist die Rede. Die Wahrheit ist: All das spielt keine Rolle. Ob 500, 600 oder eben 1380 Euro - wenn die Kommune keinen zumutbaren Kita-Platz in einer ihrer eigenen Einrichtungen bieten kann, muss sie die Ausgleichskosten für eine von den Eltern selbst organisierte Betreuung übernehmen. Dass die Einschätzungen, was zumutbar ist und was nicht, auseinandergehen, ist nicht überraschend. Umso wichtiger ist es, dass die Gerichte dafür einen konkreten Rahmen setzen. Beim Ausbau der Kita-Plätze ist seit der Einführung des Rechtsanspruchs vieles vorangekommen. Aber es bleibt immer noch viel zu tun. Die Entscheidung in Bayern sollte deshalb ein Weckruf sein für die Kommunen, ihren Auftrag ernst zu nehmen.

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