Zurück zu den Wurzeln

Dublin/Cahir · Heute wählen die Iren ein neues Parlament. Die konservative Partei von Ministerpräsident Enda Kenny und ihr bisheriger Juniorpartner Labour müssen um ihre Mehrheit bangen. Dabei haben sie Irland aus der Wirtschaftskrise geführt.

Die kahlen Rinder schweben an Haken durch die Fabrikhalle. Männer in weißen Schutzanzügen durchtrennen mit einer Kreissäge die Rippen. Andere Arbeiter schneiden mit scharfen Messern die Beine ab. Dann fahren die Rümpfe weiter, die Förderbänder an der Decke bringen sie von einer Halle zur nächsten, immer weiter werden die Tiere im kalten Neonlicht zerkleinert. Bis sie als T-Bone-Steaks oder Hackfleisch in der Endverpackung landen und von der irischen Stadt Cahir, zwei Autostunden südlich von Dublin, nach Großbritannien, auf den europäischen Kontinent und in die Welt versandt werden, an Sterne-Restaurants und Supermärkte.

Die ABP Food Group ist einer der größten Fleischproduzenten Europas und der ländliche Standort ihrer Haupt-Niederlassung passt zum Image, mit dem die dortige Lebensmittelindustrie so viele Erfolge feiert. Der Inselstaat ist der größte Netto-Rindfleisch-Exporteur der Nordhalbkugel. "Die Botschaft vom Irischen Rind hilft ungemein", sagt Seamus Banim, Sprecher von ABP. Denn die gern erzählte Geschichte der natürlichen Produktion gehört nicht nur zur Marketingstrategie der Unternehmen des 4,6-Millionen-Staats. Mehr als 470 Firmen haben sich bei dem Nachhaltigkeitsprogramm "Origin Green" registriert, das verspricht, die Umwelt zu schützen und Ressourcen zu schonen. Tatsächlich genießen die Rinderbauern den Vorteil, dass sie ihr Vieh den Großteil des Jahres auf den weiten Wiesen grasen lassen können, was die Produktionskosten senkt. Die dünn besiedelte Landschaft der grünen Insel mit dem satten Gras sowie das durch den Golfstrom milde Klima sorgen für einen echten Standortvorteil, so Banim. Milchprodukte wie Butter und Käse, Getränkemarken wie Guinness und Baileys oder eben Rindfleisch - seit einiger Zeit ist all das auch bei der Politik wieder in den Fokus gerückt.

Landwirtschaft und Nahrungsmittelbranche gelten als Wachstumstreiber in dem krisengebeutelten Land, das lange auf andere Sektoren gesetzt hat, etwa auf ausländische Pharma- und Technologiekonzerne, auf Banken und die Baubranche. Dann platzte 2008 im Zuge der Finanzkrise die Immobilienblase, Irland stand vor dem Bankrott und konnte nur durch Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm überleben. Ministerpräsident Enda Kenny und seine schwarz-rote Koalition haben dem Land ein striktes Sparprogramm auferlegt und so für die Gesundung gesorgt. Doch zuletzt schwächelten Kennys konservative Partei Fine Gael und der Partner von Labour in den Umfragen.

Denn längst nicht alle Iren spüren den Aufschwung, rund ein Drittel der Bevölkerung leidet unter Verarmung. Fast alle Iren haben die Austerität zu spüren bekommen. Der Linke Gerry Adams und seine Sinn-Fein-Partei, einst politischer Arm der IRA, inszenieren sich als Protestpartei und profitieren von der Unzufriedenheit. Ihre Forderung in Anlehnung an die griechische Syriza: eine Abkehr vom harten Sparkurs. Laut Umfragen würde Fine Gael zwar mit 28 Prozent als stärkste Partei aus der Abstimmung hervorgehen, würde damit aber auch mit Labour, kleineren Parteien und unabhängigen Abgeordneten keine stabile Regierung bilden können. Es könnte auf eine große Koaltion zwischen Fine Gael und der Mitte-Rechts-Partei und dem Erzrivalen Fianna Fail hinauslaufen, die das Land regierte, als es in die katastrophale Schuldenkrise abrutschte. Dem Inselstaat steht mit der Regierungsbildung eine Geduldsprobe bevor.

Dabei war Irlands Wirtschaftswachstum mit sieben Prozent Ende 2015 das stärkste in Europa, die Arbeitslosigkeit schrumpfte von 14 auf 8,8 Prozent. Ausländische Konzerne ziehen wieder auf die Insel und investieren, auch dank des niedrigen Steuersatzes. Doch die Regierung will aus ihren Fehlern gelernt haben und sich nicht mehr komplett auf fremde Investoren verlassen müssen. Die Wirtschaft soll auf mehrere Pfeiler gestellt und deshalb auch die heimische Landwirtschaft sowie Lebensmittel- und Getränkeindustrie gefördert werden. Zurück zu den Wurzeln also.

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