„Wir dürfen nicht versagen“

Brüssel · Bei einem Sondergipfel haben zehn EU-Länder und drei weitere Staaten Lösungen für die chaotische Lage entlang der Balkanroute gesucht. Die EU-Kommission wollte dabei die „Politik des Durchleitens“ der Flüchtlinge und nationale Alleingänge beenden.

In dem kleinen österreichischen Ort Spielfeld haben an diesem Wochenende tausende Flüchtlinge die Nacht bei Minustemperaturen im Freien verbracht. "Nichts zu essen, nichts zu trinken", weinte eine Frau. Aber sie wollte ihren Platz in der Warteschlange für den Weitertransport nicht preisgeben. Fast zur gleichen Zeit kamen in Brüssel die Regierungschefs der Länder zusammen, die an der Westbalkan-Route der Asylbewerber liegen. "Wir dürfen nicht versagen", erklärte Wiens Kanzler Werner Faymann . "Wir müssen den herumirrenden Menschen Hilfe anbieten", betonte Kanzlerin Angela Merkel.

Doch die Hoffnungen auf eine Verständigung waren nicht groß. Schon am Samstag hatte der kroatische Ministerpräsident Zoran Milanovic den 16-Punkte-Vorschlag von Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit den Worten kommentiert: "Wer das geschrieben hat, hat die Lage nicht verstanden." Gestern führte sich dann auch noch der umstrittene ungarische Premier Viktor Orbán auf, als ginge ihn das alles nichts an: "Ungarn liegt nicht mehr an der Westbalkan-Route", sagte er mit Blick auf den inzwischen fertiggestellten Grenzzaun. Dabei wollte Juncker, der kurzfristig nach Brüssel geladen hatte, lediglich konkrete Vorschläge für mehr Koordination und Abstimmung der betroffenen Länder präsentieren. Flüchtlinge aus allen Ländern müssten "menschlich behandelt" werden. Staaten wie Griechenland, Slowenien, Kroatien, Mazedonien, Serbien und Ungarn sollten Kontaktstellen für Flüchtlingsanfragen einrichten, um Informationen auszutauschen.

Die Außengrenzen der EU will Juncker auch mit Hilfe zusätzlicher Beamter der Grenzschutzagentur Frontex besser schützen lassen. Mit anderen Worten: Sie würden dann Asylberechtigte von denen trennen, die man sofort wieder zurückschicken kann. Für die, die auf einen Platz in Europa hoffen dürfen, plant die EU milliardenschwere Zuschüsse, um Auffanglager zu errichten. Die Willkommenskultur scheint am Ende. Zu groß sind die Probleme der Länder an der europäischen Außengrenze. Teilnehmer des Treffens bestätigten, dass Merkel vor dem "Ende der EU" gewarnt habe. Doch der Katalog der Maßnahmen, der auf dem Tisch lag, enthielt keine Überraschungen. Hotspots zur Registrierung ankommender Flüchtlinge sind seit langem im Gespräch, bisher wurden zwei eröffnet. Von den zugesagten zusätzlichen 450 Frontex-Beamten sind lediglich knapp 50 nominiert. An eine koordinierte Überwachung der EU-Außengrenze durch Griechenland und die Türkei kann keine Rede sein. "Wir können beschließen, was wir wollen, wenn die Ankündigungen nicht ungesetzt werden, kriegen wir das Problem nicht in den Griff", kritisierte Parlamentschef Martin Schulz .

Meinung:

Krise und Irrtümer

Von SZ-KorrespondentDetlef Drewes

Die Rechnung ist nicht aufgegangen. Am Anfang dieser Flüchtlingskrise mag man in Berlin, Wien oder Stockholm noch gedacht haben, mit der Politik der offenen Grenzen könne man einen Sog entfachen, dem sich die übrigen EU-Ländern am Ende nicht würden entziehen können. Doch das hat sich als Irrtum herausgestellt. Gestern haben die Regierungschefs nichts anderes versucht, als die Situation wieder herzustellen, die längst gekippt schien: nicht erst alle reinlassen, um sie dann zu sortieren und wieder abzuschieben. Sondern erst kontrollieren und dann nur die einreisen lassen, die auch ein Recht auf Asyl haben. Das ist das, was Europa tun kann. Von einer Befriedigung Syriens mag man träumen, in Sicht ist sie nicht. Die EU muss das Problem an ihren Grenzen aber jetzt lösen, nicht erst viel später.

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