Russische Raketen Kann Trump Sanktionen gegen Erdogan verhindern?

Istanbul · Affront gegen die Nato-Partner: Die Türkei bestellt Raketen aus Russland – und Washington droht, das nicht auf sich sitzen zu lassen.

Die Türkei steuert auf die nächste schwere Krise in ihren Beziehungen zum Westen zu. In den kommenden Tagen werden die ersten Komponenten des russischen Luftabwehrsystems S-400 in dem Nato-Land erwartet. Ein Voraustrupp russischer Techniker ist laut Medienberichten bereits in der Türkei eingetroffen. Washington droht Ankara mit Sanktionen, doch Präsident Recep Tayyip Erdogan ist zuversichtlich, dass sein Kollege Donald Trump die Strafmaßnahmen verhindern wird. Viele Experten und Politiker halten Erdogans Optimismus für Wunschdenken.

Vordergründig geht es bei dem Projekt lediglich um eine umstrittene Beschaffungsentscheidung. Doch in dem bereits seit Monaten anhaltenden Streit zwischen der Türkei und den USA schwingt die Sorge des Westens mit, Erdogan wende sich immer mehr von den traditionellen Verbündeten seines Landes ab und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu. Die zwei S-400-Batterien, die Flugzeuge und Marschflugkörper bekämpfen können, sollen die türkische Luftabwehr modernisieren. Am Wochenende werden zusätzliche russische Spezialisten in der Türkei erwartet, am Dienstag könnten die ersten Teile des 2,5 Milliarden Dollar teuren Raketensystems geliefert werden. Preis und Lieferzeit seien klare Vorteile gegenüber westlichen Systemen wie der amerikanischen Patriot-Raketen gewesen, argumentiert Ankara. Russland gewährt der Türkei auch Zugang zur Technologie, so dass Ankara die eigene Rüstungsindustrie stärken kann.

Die USA und andere Nato-Staaten wenden ein, das russische System sei nicht mit den Geräten der Allianz kompatibel; die integrierte Luftabwehr des Bündnisses vom Nordkap bis zur syrischen Grenze werde geschwächt – ein Vorteil für Russland. Die USA befürchten zudem, Moskau könne die S-400 benutzen, um den neuen US-Kampfjet F-35 auszuspionieren. Washington hat die Türkei deshalb bereits aus dem F-35-Programm ausgeschlossen, obwohl Ankara 116 der Maschinen bestellt hat und mehrere hundert Einzelteile für die Flugzeuge produziert.

Erst vor knapp einem Jahr hatte es in den türkisch-amerikanischen Beziehungen eine schwere Krise gegeben. Damals ging es um die Inhaftierung eines US-Pastors in der Türkei. Jetzt könnten neue Verwerfungen bevorstehen. Ein Risiko für die Türkei ist das so genannte CAATSA-Gesetz in den USA, das automatisch greift, sobald die russischen Raketen in der Türkei eintreffen. Sanktionen gegen türkische Unternehmen wären die Folge, ein neuerlicher Absturz der türkischen Wirtschaft wäre dann absehbar.

Erdogan ist trotzdem zuversichtlich. Nach einem Treffen mit Trump am Rande des kürzlichen G20-Gipfels sagte er, der amerikanische Präsident habe nichts von Sanktionen gesagt. Trump selbst räumte ein, die Türkei sei in den vergangenen Jahren unfair behandelt worden, als es um einen möglichen Kauf von Patriots gegangen sei.

Einige Beobachter halten es für möglich, dass Trump die Sanktionen gegen die Türkei aufhält, um Erdogan doch noch die Patriots zu verkaufen. Der Türkei-Experte Howard Eissenstat von der US-Universität St. Lawrence erklärte gegenüber unserer Zeitung, dass Trump die Sanktionen gegen die Türkei lediglich aufschieben, aber nicht völlig verhindern könne.

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