Analyse Türkei-Politik Streit mit Trump bringt Erdogan Europa näher

ANKARA Ein heftiger Streit mit den USA lässt die Türkei verstärkt die Nähe zu Russland und Europa suchen. Am 7. September sollen sich Spitzenvertreter der Türkei, Russlands, Deutschlands und Frankreichs unter Ausschluss der USA in Istanbul treffen, um über die Zukunft Syriens zu reden.

Das kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan jetzt an. Laut Medienberichten bereitet Erdogan ebenfalls für September einen Staatsbesuch in der Bundesrepublik vor. Beides geschieht vor dem Hintergrund, dass es mit US-Präsident Donald Trump gleich mehrfach knirscht.

Zum einen in Syrien. Nach der jüngsten Offensive der Assad-Truppen im Südwesten Syriens befürchtet Erdogans Regierung einen Angriff im grenznahen Idlib – und eine neue Fluchtwelle von bis zu 3,5 Millionen Menschen. Auch daher sprach Erdogan dieser Tage beim Treffen der Brics-Staaten in Südafrika mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und fädelte den Syrien-Gipfel ein. Die USA, denen die Türkei die Unterstützung einer Kurdenmiliz vorwirft, lud er nicht ein. Dass Erdogan das tut, zeigt den Bedeutungsverlust der Amerikaner im Syrien-Konflikt. Zum anderen demonstriert Erdogan seine Distanz zu den USA, die nicht nur in der Syrien-Politik besteht. Der geplante Deutschland-Besuch Erdogans gehört zu dieser außenpolitischen Neuausrichtung. Sein letzter Besuch bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) liegt Jahre zurück. Die Bundesregierung hatte zuletzt mit der Lockerung der Reisehinweise für die Türkei und einem Ende wirtschaftlicher Sanktionen ihre Bereitschaft zu einer vorsichtigen Normalisierung der Beziehungen zu Ankara signalisiert.

Ursprünglich hatte Erdogan gehofft, sich auch mit Trump arrangieren zu können. Der Fall des US-Pastors Andrew Brunson, der in der Türkei wegen angeblicher staatfeindlicher Aktivitäten vor Gericht steht, hat diese Bemühungen jedoch torpediert. Per Twitter hatte Trump der Türkei zuletzt mit harten Sanktionen gedroht, falls Brunson nicht freigelassen werde. Erdogan zeigte sich unbeeindruckt. „Mit Sanktionen werdet ihr die Türkei nicht zu Zugeständnissen bewegen können“, sagte er Richtung USA.

Der Streit um Brunson verschärft nun die bestehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und der Türkei. Auch Trumps Wandel von Lob zu Drohungen für Erdogan begünstigt die Annäherung an Europa. Der Staatschef ist viel zu lange im Geschäft, als dass er sich von Schmeicheleien oder Tiraden eines US-Präsidenten beeindrucken ließe. Für ihn stehen türkische Interessen und die eigene Wählerschaft im Mittelpunkt. Dabei kann Erdogan durchaus ruppig werden, wie seine Nazi-Vergleiche im Streit mit den Europäern im vergangenen Jahr zeigten. Er findet nichts dabei, im Wahlkampf den Westen mit scharfen Worten zu attackieren und danach die Zusammenarbeit mit Europa zu suchen.

Doch Erdogan handelt nicht irrational. So steht die Türkei nach wie vor zum Flüchtlingsdeal mit der EU von 2016 – obwohl er immer wieder drohte, ihn platzen zu lassen. Beim Besuch im September in Deutschland will Erdogan den Dauerstreit der vergangenen Jahre – auch um Festnahmen von Bundesbürgern in der Türkei, die wiederum zu Reisehinweisen und einem Einbruch in der türkischen Wirtschaft führten – auch offiziell für beendet erklären.

Und wenn Erdogan nun Deutsche und Franzosen nach Istanbul einlädt, mit der Türkei und Russland über Syrien zu sprechen, sollte das ernst genommen werden. Man kann der Türkei zwar vorwerfen, mit ihrer Syrien-Politik zur Verlängerung des Krieges beigetragen zu haben. Doch Ankara ist ein wichtiger Akteur in der Region, dessen Ziele nicht unwichtig sind. Europa sollte die Möglichkeiten ausleuchten, die sich daraus ergeben könnten.

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