Wenn Ärzte tödliche Fehler machen

Anneliese Schmitt (47, Name geändert) sucht wegen einer Schwellung an der Hüfte Hilfe bei einem Chirurgen. Der Mediziner stellt einen Weichteil-Tumor fest – und operiert.

Er entfernt flüssige und feste Bestandteile, wenn auch nicht vollständig, lässt das Gewebe aber nicht untersuchen. Erst als die Wunde von Anneliese Schmitt auch nach fünf Wochen nicht verheilt ist, wird Gewebe ins Labor geschickt. Das niederschmetternde Ergebnis: ein bösartiger Tumor, der bereits eine Lungenmetastase verursacht hat. Gutachter geben der Frau recht: Der Arzt hätte schon vor der OP den Verdacht auf einen bösartigen Tumor haben und den Weg für eine andere Behandlung ebnen müssen. Auch hätte er, wenn er operiert, das entfernte Material sofort zur Untersuchung geben lassen müssen.

Geschichten wie die von Anneliese Schmitt sind glücklicherweise selten, dennoch haben die Ärztekammern im vergangenen Jahr erneut über 2200 Behandlungsfehler registriert. 77 Menschen starben an den Folgen der Fehlbehandlungen. In 1864 Fällen bekamen Patienten eine Entschädigung zugesprochen.

Zu viel Pfusch in Deutschlands Praxen und Krankenhäusern? Auf dieses Wort reagieren die Mediziner allergisch. "Wir Ärzte machen Fehler, wir sind aber keine Pfuscher", sagte der Vorsitzende der Gutachterkommissionen der Mediziner, Andreas Crusius. Aber wie hoch ist das Risiko? Die Ärzte sehen das so: Trotz der steigendenen Zahl von Behandlungen in einer älter werdenden Gesellschaft sind die anerkannten Fehler 2013 sogar leicht zurückgegangen. Dabei nehme der Stress im Beruf zu. Auch würde der medizinische Fortschritt die Behandlungen immer komplizierter machen. Krankenkassen wie die AOK , die vor Risiken in Kliniken warnen, wollten Stimmung gegen die Ärzte machen. Die Mediziner selbst machten fast alles richtig - und mit den Fehlern, die trotzdem passieren, halten sie nicht hinterm Berg.

Ist das so? Tatsächlich gibt es Anstrengungen im Kampf gegen Fehler. Der Vorsitzende der norddeutschen Schlichtungsstelle, Walter Schaffartzik, berichtet davon, dass Kliniken mit auffälligen Problemen von Expertengruppen aus anderen Häusern besucht werden. Im Internet sind brenzlige Situationen und Fehler dokumentiert, die das Klinik-Personal anonym meldet - zum Zweck des Lernens. Aber reicht das? Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert ein Register für Behandlungsfehler - wie viele davon es gibt, weiß heute nämlich niemand genau. Neben den ärztlichen Beschwerdestellen veröffentlicht nur der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) regelmäßig Daten. Dort wurden im Vorjahr 14 600 Gutachten erstellt, in 3700 Fällen lag ein Behandlungsfehler vor. Insgesamt summiert sich die Zahl der erwiesenen Ärztefehler also auf knapp 6000 - angesichts von jährlich etwa 700 Millionen Behandlungen in Arztpraxen und über 18 Millionen in Kliniken eine verschwindend geringe Quote. Klar ist aber auch, macht Gutachter-Chef Crusius deutlich: "Jeder Fehler ist ein Fehler zuviel." Kein Mensch ist unfehlbar. Der Arzt auch nicht. Zur Panikmache besteht jedoch kein Anlass. Selbst wenn die statistischen Angaben lückenhaft sind, so lässt sich aus den vorliegenden Daten doch schließen, dass Behandlungsfehler eine Ausnahme darstellen. Trotz aller Unkenrufe fühlen sich die allermeisten Patienten bei ihrem Arzt in guten Händen. Auch weil das Gesundheitswesen in Deutschland international zu den Besten seiner Art gehört. Trotzdem ist es geboten, den Ursachen ärztlicher Fehler stärker auf den Grund zu gehen. Wer dafür allein den täglichen Stress ins Feld führt, macht es sich sicher zu einfach. Arbeitsverdichtung und wachsende Leistungsanforderungen sind schließlich auch in vielen anderen Berufen an der Tagesordnung. Fest steht, dass sich Kliniken schon länger veranlasst sehen, die medizinische Notwendigkeit von Operationen den wirtschaftlichen Zwängen unterzuordnen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Gänzlich werden sich Fehler nie vermeiden lassen.

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HintergrundEin Patient hat vier Möglichkeiten, um einem vermuteten Behandlungsfehler auf den Grund zu gehen. Neben den Anlaufstellen der Ärzteschaft kann er eine unabhängige Patientenberatung aufsuchen, die bundesweit Geschäftsstellen unterhält. Eine weitere Anlaufstelle sind die Krankenkassen und ihr Medizinischer Dienst (MDK). Oder der Patient wendet sich gleich an ein Zivil- oder Sozialgericht. In der Praxis kann ein Fall mehrere Stellen beschäftigen. vet

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