Praxen werden auf Fehler durchleuchtet

Berlin. Übersehene Laborbefunde, Verwechslung von Patientenakten, unnötig verordnete Medikamente - die Liste möglicher Behandlungsfehler in den rund 100 000 Arztpraxen ist lang. Fast jeder dritte Arzt macht einer aktuellen Umfrage zufolge monatlich oder sogar wöchentlich Fehler mit unliebsamen Risiken und Nebenwirkungen für die Patienten

Berlin. Übersehene Laborbefunde, Verwechslung von Patientenakten, unnötig verordnete Medikamente - die Liste möglicher Behandlungsfehler in den rund 100 000 Arztpraxen ist lang. Fast jeder dritte Arzt macht einer aktuellen Umfrage zufolge monatlich oder sogar wöchentlich Fehler mit unliebsamen Risiken und Nebenwirkungen für die Patienten. Nach jahrelangen Widerständen sollen Qualität und Sicherheit allmählich durchgängig besser werden. Experten fordern aber mehr Kontrollen.

Bislang alarmierten vor allem Berichte über Kunstfehler in Kliniken. So stellten Gutachter im vergangenen Jahr bei 2090 Menschen ärztliche Missgriffe fest. Fast 11 000 Mal beschwerten sich Patienten bei den Ärztekammern. Rund zwei Drittel der Fälle passierten in Krankenhäusern. Doch Gesetze und steigender Wettbewerbsdruck rücken auch Fehler bei den niedergelassenen Ärzten stärker ins Licht.

Die unabhängige Stiftung Gesundheit schrieb 17 500 Mediziner an - knapp 1000 antworteten. Von Fehlern mit Patientenschäden einmal monatlich berichteten 26 Prozent der Hausärzte, 32 Prozent der operativ tätigen Mediziner und 16 Prozent der Psychiater und Therapeuten. Schnell erkennbar ist zum Beispiel, wenn ein Chirurg an der falschen Stelle operiert hat. "Medikationsfehler sind dagegen nicht so sichtbar", sagt der Vorsitzende der Stiftung, Peter Müller.

Welche Fehler in den Praxen wirklich passieren, erfasst keine Statistik - doch das einstige Tabuthema wird unter Ärzten eifrig diskutiert. Müller lobt eine steigende Bereitschaft der Mediziner, darüber Auskunft zu geben. Schließlich sind Fehler nicht nur peinlich. So ließ sich ein 57-jähriger Mann mit Darmkrebs in der Familie von seinem Hausarzt untersuchen. Der Arzt findet Blut im Stuhl. Er veranlasst aber keine Darmspiegelung, wie das den Regeln der Kunst entspräche, sondern führt das auf ein Medikament zurück. Sechs Monate später entdeckt der Mediziner beim Tasten des bereits schmerzenden Bauchs wieder nichts. Auch ein weiterer Arztbesuch acht Monate später bringt keine Diagnose. Erst weitere drei Monate später schickt der Hausarzt den Mann zur Computertomographie. Diagnose: Dickdarmkrebs.

Jenseits solcher spektakulären Fälle schleifen sich in vielen Praxen Abläufe ein, die eigentlich nicht sein sollten. "Probleme in der Qualität werden nach wie vor unterschätzt", sagt der Bremer Versorgungsforscher Gerd Glaeske. "Man muss die Abläufe so regeln, dass nicht einfach die Arzthelferin ein Rezept ausstellt und der Arzt nur noch unterschreibt, ohne zu prüfen, ob der Patient das Mittel noch braucht", sagt er etwa.

Bereits vor fünf Jahren verpflichtete der Gesetzgeber die Ärzte, sich um einen professionellen Ablauf in ihrer Praxis zu kümmern. Bis Ende des Jahres müssen Ärzte nun ein System für Qualitätsmanagement installiert haben. "Die Zahl derer, die wütend dagegen schimpfen und mehr Bürokratie fürchten, ist dramatisch zurückgegangen", sagt Müller. Hauptziel: Zuständigkeiten in den Praxen klar regeln - etwa für Wartung und Reinigung der Geräte, die Patientenakten und Laborbefunde.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat selbst ein solches Qualitätssystem entwickelt und macht Druck auf die Ärzte. "Praxen, die das partout nicht tun, müssen damit rechnen, dass sie Honorarkürzungen hinnehmen müssen", sagt Sprecher Roland Stahl.

Ginge es nach der KBV, sollte die gesamte Ärztebezahlung Schritt für Schritt an der Qualität bemessen werden. Ein entsprechender Vorstoß vom Juli zielt etwa darauf ab, dass ein Arzt mehr verdient, wenn er die Behandlungen aller seiner Bluthochdruck-Patienten dokumentiert. Erreicht er bei einem Großteil einer Normalisierung der Werte, würde er weiter belohnt.

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