Von Pop-Beauftragten zum Parteichef

Berlin. Was hatten sie über ihn gelästert. Vor sieben Jahren, als Sigmar Gabriel zum "Pop-Beauftragten" der SPD gekürt wurde. Als der Niedersachse ganz unten war. Aber Gabriel wäre nicht Gabriel, hätte er sich damit abgefunden. Auf politische Naturtalente kann eine Partei schwerlich verzichten. Schon gar nicht dann, wenn sie selbst in höchster Not ist

Berlin. Was hatten sie über ihn gelästert. Vor sieben Jahren, als Sigmar Gabriel zum "Pop-Beauftragten" der SPD gekürt wurde. Als der Niedersachse ganz unten war. Aber Gabriel wäre nicht Gabriel, hätte er sich damit abgefunden. Auf politische Naturtalente kann eine Partei schwerlich verzichten. Schon gar nicht dann, wenn sie selbst in höchster Not ist. Genau seit einem Jahr bestimmt Sigmar Gabriel nun die Geschicke der ältesten Partei Deutschlands. Und man darf getrost sagen, dass er seinen Wiederaufstieg der tiefen Krise zu verdanken hat, die nach der klar verlorenen Bundestagswahl mit aller Macht über die Sozialdemokraten hereingebrochen war.Knapp zwölf Monate später sind zumindest die schlimmsten Trümmer beseitigt. Mit dem 51-jährigen Gabriel fand die SPD wieder zu ihrem inneren Frieden zurück. Ein neuer Diskussionsstil kehrte in die Partei ein. Wo früher das "Basta" der Schröders und Münteferings regierte, lässt Gabriel der Meinungsbildung freien Lauf. So geschehen in der Afghanistan-Politik. Bevor ein entsprechender Antrag im Bundestag gestellt wurde, ging das Papier erst zur Begutachtung an die Basis. Dankbar wird von der auch vermerkt, dass die Arbeitsteilung zwischen Gabriel, Generalsekretärin Andrea Nahles und Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier inzwischen geräuschlos funktioniert. Kein Macht-Kampf an der Spitze, das hatten die Sozialdemokraten schon lange nicht mehr. Echte Glücksgefühle wollen sich trotzdem nicht einstellen. Seit einiger Zeit ist der Wählerzuspruch für die SPD auch wieder deutlich unter 30 Prozent abgebröckelt. Der Politikforscher Karl-Rudolf Korte spricht schon von einer "Volkspartei-Ruine", der es schlicht an frischen Ideen mangelt. Tatsächlich vermag die SPD keinem politischen Großthema dieser Tage ihren Stempel aufzudrücken. Der SPD-Chef hat dazu nach Kräften beigetragen. Denn das ist die Kehrseite seiner politischen Begabung: Er ist zu forsch, zu sprunghaft und manchmal auch zu populistisch. Beispiel Atompolitik: Da forderte der Vorsitzende spontan eine Volkabstimmung, wohl wissend, dass die dazu erforderliche Grundgesetzänderung mangels Mehrheiten utopisch ist. Beispiel Integrationsdebatte: Die hat zwar ein Sozialdemokrat neu entfacht. Doch anstatt die provokanten Äußerungen Thilo Sarrazins für inhaltliche Vorschläge zu nutzen, legte sich Gabriel frühzeitig auf dessen Partei-Rausschmiss fest. An dem Schiedsverfahren dürfte die SPD noch tief bis ins nächste Jahr zu knabbern haben. Nicht hilfreich war auch Gabriels Idee, eine an ihn adressierte SMS der Kanzlerin in Sachen Bundespräsidentenwahl der Presse zuzuspielen. Er wollte mal wieder den schnellen Punkt machen. Unseriös und unprofessionell, hieß es hinterher nicht nur im Regierungslager. Trotzdem ist Gabriel in der SPD praktisch alternativlos. Eine Partei, die seit dem Rückzug von Willy Brandt im Jahr 1987 neun Vorsitzende verschlissen hat, sehnt sich nach Stetigkeit und Harmonie. So ist es wohl zu erklären, dass die Genossen bei ihrem jungen Chef auch Attitüden der Selbstberauschung tolerieren. Auf dem jüngsten Bundesparteitag redete Gabriel fast zwei Stunden lang so, als sei er bereits eine Legende der Sozialdemokratie, um nicht gleich Fidel Castro zu nennen. Gut möglich, dass Gabriel auch der nächste Herausforderer von Angela Merkel wird. Steinmeier hat zwar in der Publikumsgunst viel hinzu gewonnen, seitdem er seiner schwer kranken Frau eine Niere spendete. Aber der Ex-Kanzlerkandidat wird auch immer mit dem desaströsen Abschneiden bei der letzten Bundestagswahl in Verbindung stehen. "Die Partei braucht eine Rampensau. Und das ist Gabriel", heißt es in der Bundestagsfraktion. Der Spott über "Siggi-Pop" scheint vergessen zu sein. "Die Partei braucht eine Rampensau. Und das ist Gabriel."Eine Stimme aus der SPD-Bundestagsfraktion

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