Generalprobe für den Krieg am Hindukusch

Letzlingen. Die Anspannung steht Hauptfeldwebel Michael Schulz (Name geändert) ins Gesicht geschrieben. Am liebsten würde der Fallschirmjäger aus dem Saarland die Gedanken ans kommende Jahr verdrängen. Er macht sich keine Illusionen, was ihn auf seiner ersten Afghanistan-Mission erwartet: Sprengfallen, Hinterhalte, Gefechte mit skrupellosen Taliban. Krieg

 Zweibrücker Scharfschützen sind bei einem Übungsgefecht nahe Magdeburg auf einem Fuchs-Panzer in Stellung gegangen.Foto: Kirch

Zweibrücker Scharfschützen sind bei einem Übungsgefecht nahe Magdeburg auf einem Fuchs-Panzer in Stellung gegangen.Foto: Kirch

Letzlingen. Die Anspannung steht Hauptfeldwebel Michael Schulz (Name geändert) ins Gesicht geschrieben. Am liebsten würde der Fallschirmjäger aus dem Saarland die Gedanken ans kommende Jahr verdrängen. Er macht sich keine Illusionen, was ihn auf seiner ersten Afghanistan-Mission erwartet: Sprengfallen, Hinterhalte, Gefechte mit skrupellosen Taliban. Krieg. Schon Monate vor Beginn des Einsatzes hat Schulz sein Testament geschrieben, das gebiete "der gesunde Menschenverstand", sagt der Hauptfeldwebel. Als wäre es das Natürlichste von der Welt, mit Anfang dreißig seinen Nachlass zu regeln.

Wie es in Afghanistan zugehen wird, hat Schulz in den vergangenen Tagen am eigenen Leib gespürt, als er mit seinem Konvoi plötzlich in einen Hinterhalt geriet und beschossen wurde. Da schoss Schulz das Adrenalin ins Blut - obwohl doch nur mit Platzpatronen gefeuert wurde. Die 450 Soldaten der Saarlandbrigade, die in der Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt bis Freitag zwei Wochen lang ihren bislang gefährlichsten Einsatz übten, bilden im ersten Halbjahr 2011 das Rückgrat eines 700 Mann starken Kampfverbandes in der Unruheprovinz Kundus. Es ist die letzte Chance, Fehler zu finden , die ab Januar tragisch enden können. Acht Männer hat die Saarlandbrigade in Afghanistan schon verloren, alle aus Zweibrücken. Die Kameraden sollen nicht umsonst gestorben sein, das haben sie sich geschworen.

Schulz hält sich gerade in sicherer Umgebung auf, als die entscheidende Phase der Operation "Amnjad" anläuft: Pioniere bewegen mit ihren Raupen und Baggern 15 000 Kubikmeter Erde, um rings um eine vorgeschobene Basis einen fünf Meter hohen Schutzwall aufzutürmen. Der Feind soll nicht sehen, dass Schulz und seine Kameraden sich für den großen Sturm auf die Taliban-Hochburg Plattenhausen rüsten.

Der Feind steckt in langen weißen Gewändern. Die Taliban, aber auch Burka-Trägerinnen, afghanische Soldaten und Dorfälteste werden auf dem 20 mal 30 Kilometer großen Übungsplatz, dem mondernsten Europas, von Hunderten Schauspielern, die meisten Soldaten, gemimt. Mittels GPS-Technik wird zur Auswertung jeder Schritt eines Soldaten aufgezeichnet, alle Funksprüche protokolliert. Brigadegeneral Eberhard Zorn, der Kommandeur der Saarlandbrigade, schwärmt vom "gläsernen Soldaten".

Der Chef der Fallschirmjäger aus Zweibrücken, Oberstleutnant Andreas Steinhaus, wird den Verband in Kundus führen. Dort kommt es täglich zu Feuergefechten, die von Woche zu Woche härter werden. Steinhaus muss diese "Feindlage" berücksichtigen, als er in einem engen Zelt ohne Tageslicht, dem Gefechtsstand, auf einer Karte mit Pfeilen, Vierecken und Kreisen seinen Schlachtplan für den nächsten Tag skizziert. Es werden entscheidende Stunden, denn der 42-Jährige hat den Auftrag, die Taliban-Hochburg Plattenhausen im Norden des Übungsplatzes einzunehmen. Man müsse davon ausgehen, dass der Feind erheblichen Widerstand leisten werde, schwört er seine Kompaniechefs in dem Zelt ein. Nötig sei ein "schneller Stoß" nach Plattenhausen.

Theoretisch ist die Operation "Amnjad" nur ein Spiel, aber Steinhaus sagt: "Das ist kein Spaß, das ist eine realitätsnahe und sehr ernste Übung." Für den Ernst sorgt die Technik: Geschossen wird zwar mit Platzpatronen, aber kleine Laser-Geräte an den Waffen und an der Uniform machen jeden Treffer sofort sichtbar. Wem der Mini-Computer an der linken Brusttasche bei Beschuss "Ausfall" signalisiert, weiß, dass er im Ernstfall nicht lebend nach Hause gekommen wäre. "Das ist etwas anderes, als wenn sie auf der Schießbahn auf Pappscheibchen schießen", sagt Zorn.

Oberstleutnant Steinhaus hat sich nach einer kurzen Nacht entschieden, seine Truppe beim Sturm auf Plattenhausen aus der Luke eines Fuchs-Transportpanzers zu dirigieren und nicht aus dem beheizten Gefechtsstand 15 Kilometer entfernt. Der Angriff stockt: Die Funkverbindung bricht zusammen, Steinhaus ist stocksauer. Im richtigen Einsatz müsste er die Operation jetzt abbrechen. So wird nur eine Reparaturpause eingelegt.

Kurze Zeit später ist das erste Etappenziel erreicht: In ihren Transport- und Schützenpanzern stoßen die Soldaten auf einen Hügel einen Kilometer vor Plattenhausen vor, mit ausgezeichneter Sicht in die Ortschaft. Mit Lautsprecherdurchsagen gelingt es, die Zivilbevölkerung zum Verlassen des Dorfes zu bewegen. Für die Soldaten der Saarlandbrigade geht es jetzt darum, möglichst viele Taliban zu töten, die im Dorf geblieben sind. Steinhaus sagt nur dieses eine Wort: "Ausschalten!" Aus 965 Meter Entfernung visieren Scharfschützen die Aufständischen an, genauer gesagt ihre Köpfe, sicher ist sicher. Schuss. Die Laser-Empfänger an den weißen Gewändern der Gotteskrieger piepen, auf den Mini-Displays erscheint "Ausfall". Für sie ist die Übung vorbei, sie müssen das Spielfeld verlassen. Bevor Steinhaus seine Leute ins Dorf einrücken lässt, versucht er es noch mit Psychokrieg. Er lässt das Dorf erneut beschallen: "Feinde des Landes, Eure Lage ist aussichtslos! Ergebt Euch! Verlasst mit erhobenen Händen die Gebäude!" Dass dieser Versuch fruchtet, hat der Kommandeur wohl selbst kaum erwartet. Dann rattern die Maschinengewehre, ein dumpfer Knall aus dem Schützenpanzer. Ruhe, dann wieder MG-Feuer. Unter plötzlich einsetzendem Beschuss der Taliban zünden die Soldaten in ihren Panzern Nebelbomben, um hinter dem dichten weißen Schleier ihre Stellung zu wechseln. In der Luft kreisen Sportflugzeuge, die Kampfjets sein sollen, und ein US-Kampfhubschrauber. Einsatzerfahrene Soldaten schildern das gespenstische Gefecht als realistisch. Man hat in Deutschland kaum eine Vorstellung, was in Afghanistan wirklich passiert.

Der "schnelle Stoß" steht unmittelbar bevor. Wieder werden Nebelbomben gezündet, damit die Kampftruppen unerkannt ihre Fahrzeuge verlassen und ins Dorf einrücken können. Doch der Nebel zieht nicht zum Feind, sondern zu den eigenen Leuten. Ein verheerender Fehler. Auf der Jagd nach Taliban kommt es zum Häuserkampf. Am Ende müssen alle Taliban das Spielfeld verlassen, sie sind "vernichtet" worden. Plattenhausen ist eingenommen, kein Zivilist tot. Besser geht es nicht.

Aber um welchen Preis? Um 17 Uhr 20 protokollieren die Offiziere im Gefechtsstand Ereignis Nummer 209: Der Kommandeur meldet aus seinem Panzer über Funk vier Gefallene und zwei Verletzte. Sind die Soldaten den Taliban ins offene Messer gelaufen, weil der Wind den Nebel in die falsche Richtung wehte? Den Ursachen wird mit Hilfe der Aufzeichnungen nachgegangen, damit der Fehler kein zweites Mal passiert. Hauptfeldwebel Schulz sagt: "In Afghanistan können wir uns keinen zweiten Versuch leisten."

 Kommandeur Andreas Steinhaus bei der Befehlsausgabe an seine Kompaniechefs. Foto: Kirch

Kommandeur Andreas Steinhaus bei der Befehlsausgabe an seine Kompaniechefs. Foto: Kirch

 Fallschirmjäger sichern den Aufbau eines vorgeschobenen Feldpostens unweit einer "Taliban-Hochburg" ab. Foto: BW

Fallschirmjäger sichern den Aufbau eines vorgeschobenen Feldpostens unweit einer "Taliban-Hochburg" ab. Foto: BW

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