Schlangestehen gegen die StudiengebührCampus-Maut: ein kurzes Kapitel der Hochschulgeschichte

München

 Wer noch am Mittwoch das Volksbegehren unterzeichnen wollte, musste auf dem Münchner Marienplatz in der Schlange stehen. Foto: dpa

Wer noch am Mittwoch das Volksbegehren unterzeichnen wollte, musste auf dem Münchner Marienplatz in der Schlange stehen. Foto: dpa

München. Die Freude über eine gewonnene Landtagswahl hätte kaum größer sein können: Im "Lustspielhaus" im Münchener Stadtteil Alt-Schwabing lagen sich führende Vertreter der bayerischen Opposition in den Armen: Michael Piazolo, Generalsekretär der Freien Wähler, Natascha Kohnen, Generalsekretärin der Bayern-SPD und die Grünen-Landesvorsitzende Theresa Schopper feierten den Erfolg des Volksbegehrens zur Abschaffung der Studiengebühren wie einen Sieg über die schwarz-gelbe Regierungskoalition.

Unerwartet deutlich hatte das Volksbegehren das erforderliche Quorum von zehn Prozent überschritten. Mit 14,4 Prozent war es das erfolgreichste Plebiszit in Bayern nach dem für die christliche Gemeinschaftsschule in den 60er Jahren. Fast 1,4 Millionen Bayern hatten sich in den vergangenen zwei Wochen in die ausliegenden Listen eingetragen. Abgeschafft sind damit die Studiengebühren im Freistaat noch nicht. Wenn der Landtag sich das Anliegen nicht zueigen macht, kommt es zum landesweiten Volksentscheid.

Und gerade dieser weitere Prozess macht den Oppositionsparteien im Freistaat zusätzlich Laune. Denn die Regierungsparteien CSU und FDP haben sich in eine schwierige Position manövriert. Während die CSU unter Führung von Ministerpräsident Horst Seehofer sich vor Weihnachten unter dem Eindruck eines von den Freien Wählern erstrittenen Urteils des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs rasch von den selbst eingeführten Gebühren verabschiedete, pocht die FDP auf Einhaltung des Koalitionsvertrags, in dem die Erhebung von Gebühren für den Besuch von Hochschulen und Universitäten festgeschrieben ist. Die FDP hat das Thema zur Koalitionsfrage hochstilisiert. In dem Moment, in welchem die CSU mit der Opposition abstimmt, ist die Koalition erledigt, hatte der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Thomas Hacker, vor Weihnachten erklärt. Zusätzlich auf die Palme brachte den liberalen Teil der bayerischen Koalition eine Äußerung des CSU-Bildungspolitikers Karl Freller am Dienstag im Landtag, wonach die Studiengebühren "dank der CSU" abgeschafft würden.

FDP bleibt hart

Gedanklich hat man sich bei der FDP schon mit dem Gedanken vertraut gemacht, die beiden Minister Martin Zeil und Wolfgang Heubisch sowie Staatssekretärin Katja Hessel aus der Staatsregierung abzuziehen. Die 1,4 Millionen Bayern, die den Weg zu den Eintragungsbüros in den Rathäusern auf sich nahmen, hätten lediglich zu erkennen gegeben, dass sie über die Studiengebühren abstimmen wollten, sagte FDP-Wissenschaftsminister Heubisch: "Also ist die logische Konsequenz ein Volksentscheid".

Die Stunde der Wahrheit für die schwarz-gelbe bayerische Regierungskoalition wird irgendwann innerhalb der nächsten vier Monate im Maximilianeum, dem Sitz des bayerischen Landtags, schlagen. Dann nämlich, wenn sich das Landesparlament in einer Abstimmung entscheiden muss, ob es den begehrten Gesetzentwurf unverändert annimmt, ihn ablehnt oder ihm einen alternativen Gesetzentwurf entgegenstellt. Seehofer hatte bereits mehrfach mitgeteilt, dass die CSU in diesem Fall nicht mehr dem Koalitionsfrieden zuliebe gegen ihre (neue) Überzeugung abstimmen werde: "Ich bin zuversichtlich, dass wir zu einem Ergebnis kommen, das dem Wunsch der Bevölkerung Rechnung trägt." "Momentan", bestätigte CSU-Fraktionsvorsitzender Georg Schmid, seien die Christsozialen durch den Koalitionsvertrag noch gehindert, den Weg zur Abschaffung der Studienbeiträge frei zu machen, "weshalb wir vor weiteren Überlegungen jetzt zunächst mit unserem Koalitionspartner FDP sprechen". Der konziliante CSU-Fraktionschef deutete schon eine Lösung an: Die FDP könnte den Koalitionsvertrag für diese Frage "aussetzen" oder die Abstimmung zu diesem Thema "freigeben". "Inzwischen ist es mir wurscht, was CSU und FDP machen", sagte die Generalsekretärin der Bayern-SPD Natascha Kohnen auf der Party der Volksbegehrens-Initiatoren. Die drei Oppositionsparteien SPD, Freie Wähler und Grüne freuten sich freilich auch, dass der unerwartet große Erfolg des Plebiszits den Kessel der schwarz-gelben Konkurrenz zusätzlich unter Druck gesetzt hat. Schon witzelte man über abenteuerliche Konstellationen nach einem Bruch der schwarz-gelben Koalition wie etwa ein "Viererbündnis gegen die FDP" oder auch die "Duldung einer FDP-Minderheitsregierung". Mit Blick auf die bayerische Landtagswahl am 15. September freuen sich die Wahlkampfstrategen der Oppositionsfraktionen auf die psychologische Stärkung der Truppe durch das gelungene Volksbegehren. Das, sagt SPD-Wahlkampfmanager Rainer Glaab, sei für die Moral der Mitstreiter "sehr wichtig". Auch Freie-Wähler-Generalsekretär Michael Piazolo lobte die "tolle Bündnisarbeit", und die Grünen-Landesvorsitzende Theresa Schopper zeigte sich begeistert über den "unglaublichen Zusammenhalt über Parteigrenzen hinweg".Saarbrücken. Die Campus-Maut steht nach dem Bayern-Volksbegehren beinahe in der ganzen Republik vor dem Aus. Einzig Niedersachsen hält als letzte Bastion am Bezahlstudium fest. 500 Euro sind dort halbjährlich fürs Erststudium fällig. Noch, denn auch die rot-grüne Regierung hat signalisiert, die Pauschale zu kippen. Das könne sich aber bis 2015 hinziehen. Spätestens dann wird das Kapitel der Erststudiengebühren als Misserfolgsgeschichte in die Annalen der Hochschulpolitik eingehen.

2005 machten die Bundesverfassungsgerichter übrigens erst den Weg frei für die Campus-Maut. Das Recht hatten sich unionsgeführte Länder eingeklagt, begleitet von massiven Studentenprotesten. Binnen zwei Jahren nach dem Karlsruher Urteil erhoben zehn Länder, darunter Niedersachsen, Bayern und das Saarland, Studiengebühren.

Und bereits ein Jahr später leitete die Abwahl von Hessens Ministerpräsident Roland Koch das überraschend schnelle Ende der Gebühren ein. Saarlands Jamaika Regierung kippte die Maut fürs Erststudium 2010. Andere Länder folgten. red

Meinung

Ein Meisterstück ist gefragt

Von SZ-Mitarbeiter

Ralf Müller

Noch erfolgreicher als erwartet ist gestern in Bayern das Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren zu Ende gegangen. Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer hatte das kommen sehen, als der Bayerische Verfassungsgerichtshof grünes Licht für das Plebiszit gegeben hatte. Seehofer propagierte innerhalb Tagesfrist einen neuen Kurs: Die CSU will seither die von ihr selbst eingeführten Gebühren abschaffen.

Das Bauchgefühl Seehofers hatte wieder einmal in die richtige Richtung gewiesen, aber taktisch hatte er einen Fehler gemacht: Er setzte die Wende in der CSU durch, ohne den kleinen Koalitionspartner FDP zu fragen. Man muss kein Politikprofessor sein, um zu wissen: So etwas führt stets zu Verhärtungen.

 Wer noch am Mittwoch das Volksbegehren unterzeichnen wollte, musste auf dem Münchner Marienplatz in der Schlange stehen. Foto: dpa

Wer noch am Mittwoch das Volksbegehren unterzeichnen wollte, musste auf dem Münchner Marienplatz in der Schlange stehen. Foto: dpa

Vielleicht hatte Seehofer gehofft, die FDP werde unter dem Eindruck eines erfolgreichen Volksbegehrens einknicken. Doch danach sieht es nicht aus. Die Lage nach dem Volksbegehren ist wie vor dem Volksbegehren: verfahren. Es bleibt das Geheimnis des CSU-Chefs, wie er diese Kuh vom Eis holen will. Da ist ein Meisterstück des Taktikers gefragt, ansonsten wird das Undenkbare denkbar: Vorgezogene Neuwahlen im Freistaat Bayern.

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