Perl wächst gegen den Trend "Es geht uns nicht darum, schlimme Szenarien aufzuzeigen"

Die saarländische Bevölkerung schrumpft rapide. Wie schlimm ist die Situation? Carsten Große Starmann: Uns geht es nicht darum, schlimme Szenarien aufzuzeigen, sondern wir wollen die Kommunen, die Kommunalpolitik damit vertraut machen, was sich in den nächsten Jahren verändert. Wir wollen Fakten liefern für die Analyse in den Städten, Gemeinden und Kreisen

Die saarländische Bevölkerung schrumpft rapide. Wie schlimm ist die Situation?

Carsten Große Starmann: Uns geht es nicht darum, schlimme Szenarien aufzuzeigen, sondern wir wollen die Kommunen, die Kommunalpolitik damit vertraut machen, was sich in den nächsten Jahren verändert. Wir wollen Fakten liefern für die Analyse in den Städten, Gemeinden und Kreisen. Und da zeichnet sich im Saarland ab, dass die Bevölkerungszahl deutlich abnimmt und dass es eine starke Alterung gibt.

Mehr als im Rest der Republik?

Große Starmann: Wenn wir zwischen alten und neuen Bundesländern unterschieden, liegt das Saarland etwa in der Mitte.

Von einem Horrorszenario zu sprechen, wäre Ihrer Meinung nach also übertrieben?

Große Starmann: Der demografische Wandel ist kein Horrorszenario, sondern durchaus etwas, was man als Chance denken kann und denken muss. Der Punkt ist: Man muss es sehr, sehr mutig denken und die Dinge neu denken. Das heißt in einer alternden Gesellschaft zum Beispiel, dass alte und ältere Menschen auch ein großes Potenzial für die Städte und Gemeinden bergen, das die Kommunen aber selber heben müssen. Sie müssen diesem Potenzial Struktur geben, damit sich die Älteren stärker einbringen.

Wie könnte das aussehen?

Große Starmann: Zum Beispiel im Bereich Bildung, wenn wir auf die Kinder schauen, die aus schwierigen sozialen Milieus kommen, häufig schlecht Deutsch sprechen. Aus meiner Sicht braucht es ältere Menschen, die sich engagieren, die sagen, ich gehe zweimal in der Woche in die Schule und unterhalte mich mit ein paar Kindern zwei Stunden, lese ihnen etwas vor. Das sind Dinge, wo man sich konkret einbringen kann.

Die Voraussetzungen müssen die Kommunen schaffen?

Große Starmann: Ja, unsere Erfahrung ist, dass es eine Menge Bereitschaft gibt, sich einzubringen, aber man muss diesem Engagement Struktur geben. Und das ist Aufgabe der Städte und Gemeinden. Ganz wichtig ist darüber hinaus, dass es so etwas wie eine Anerkennungskultur gibt.

Was können die Kommunen tun?

Große Starmann: Es gibt viele Möglichkeiten, auch was ältere Erwerbspersonen betrifft. Die Kommunen müssen die Betriebe stärker dafür sensibilisieren, dass die älteren Menschen immer wichtiger für sie werden.

Zurück zum Bevölkerungsschwund: Sehen Sie denn auch im Saarland Dörfer verschwinden, so wie es in den neuen Bundesländern teilweise geschehen soll?

Große Starmann: Nein, das sehe ich nicht. Dass ganze Landstriche leer stehen, das sicher nicht. Aber wir haben eine deutliche Abwanderungsbewegung, eine deutliche Alterung, eine deutliche Schrumpfung. Auf die Infrastruktur wird sich das ganz stark auswirken.

In welcher Weise?

Große Starmann: Die Kommunen müssen immer stärker überlegen, was sie gemeinsam mit anderen machen können. Wer hält was vor, was ist für Lebensqualität wichtig? Braucht wirklich jeder ein Schwimmbad oder reicht es, wenn wir das oder jenes gut an den Personennahverkehr anbinden?

Sehen Sie denn weitere Probleme, wenn die Einwohnerzahl des Saarlandes bald unter die Millionengrenze sinkt?

Große Starmann: Nein, die Frage ist nicht, ob man etwas unter oder etwas über einer Million liegt. Die spannende Frage ist, was macht man in Städten und Gemeinden daraus. Saarbrücken. Die starke Erkältung, deretwegen er gestern zum Arzt musste, kann dem Bürgermeister die gute Laune nicht verderben. Im Gegenteil: Die neue Bertelsmann-Studie zaubert Bruno Schmitt (Foto: SZ), dem Perler Verwaltungschef, ein Lächeln aufs Gesicht. Denn sie bestätigt eindrucksvoll, was Schmitt schon länger weiß: "Wir werden weiter wachsen, bei uns entsteht was. In fünf bis zehn Jahren werden wir 10000 Einwohner haben, da bin ich mir sicher." Schmitt ist damit noch ein gutes Stück euphorischer, als es die Voraussagen von Bertelsmann erlauben würden, die von einem Wachstum auf 7000 Einwohner erst im Jahr 2025 ausgehen. Aber Schmitt sitzt ja auch an der Quelle des Geschehens. Und er hat verblüffende Daten parat: Allein in 2007 sind über 300 Luxemburger und nochmal 200 Deutsche nach Perl gezogen, auch 2008 rechnet der Bürgermeister mit einem Bevölkerungsplus von vier Prozent.

Dass dies nicht nur an den schönen Perler Mädchen und dem guten Wein liegt, verschweigt Schmitt nicht. Warum sollte er auch, die Gründe für die absolute Ausnahmestellung im Saarland liegen auf der Hand. "Früher waren wir Randgebiet, heute liegen wir im Herzen Europas und im Speckgürtel von Luxemburg, einem der dynamischsten Zentren des Kontinents. Das ist ein Glücksfall."

Andere saarländische Gemeinden haben dieses Glück nicht. Mit zum Teil gravierenden Folgen, wie die Forscher von Bertelsmann herausgefunden haben. Besonders werden offenbar die Gemeinden Illingen und Großrosseln vom Bevölkerungsrückgang getroffen. Um über 16 Prozent sollen die Einwohnerzahlen dort sinken. Gute Aussichten haben dagegen neben Perl vor allem Losheim am See und Saarlouis, die kaum Bürger verlieren sollen.

Auch darüber, wie alt oder jung die Bürger in den einzelnen Städten und Gemeinden sein werden, gibt die Studie Auskunft. Saarbrücken ist demnach im Jahr 2025 mit dem statistisches Medianalter (ein Mittelwert, der die Bevölkerung in zwei gleich große Altersgruppen teilt) von rund 45 Jahren die jüngste Kommune, die älteste Bevölkerung des Saarlandes wird in Illingen (53 Jahre), Marpingen (54) und Kleinblittersdorf (55) zu Hause sein. Da überrascht es kaum, dass in der "jungen" Landeshauptstadt auch der Anteil der über 80-Jährigen nur um rund ein Viertel steigt, Ähnliches gilt für Neunkirchen und Freisen. Auf einen hohen Zuwachs der Hochbetagten sollten sich Überherrn, Püttlingen und Rehlingen-Siersburg einstellen. Entgegen dem bundesweiten Trend werden sich im Saarland voraussichtlich die Bevölkerungsanteile der potenziellen Arbeitnehmer entwickeln. Mit einem Rückgang von rund einem Fünftel in allen Landkreisen bei den 25- bis 44-Jährigen bestätigt sich die deutschlandweite Tendenz. Überraschend aber ist die im Gegensatz zu anderen alten Bundesländern ebenfalls rückläufige Zahl der älteren potenziellen Erwerbstätigen bis 64 Jahre. Rund sechs Prozent Rückgang im Landesschnitt sind zu erwarten.

 Nicht nur die idyllischen Weinberge bei Perl ziehen die Menschen aus Luxemburg nahezu magisch an. Die Gemeinde wächst. Foto: atb

Nicht nur die idyllischen Weinberge bei Perl ziehen die Menschen aus Luxemburg nahezu magisch an. Die Gemeinde wächst. Foto: atb

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort